Was wird aus den Kölner Innenstadtkirchen?

"Wir werden noch viel Phantasie brauchen"

Kneipe, Kita, Kletterhalle oder Kulturrraum? Alles das gibt es bereits in umgenutzten oder profanierten Kirchen. Auch in mancher Kölner Innenstadtkirche, in der die Gläubigen ausbleiben, soll etwas Neues, aber mit dem Ort Vereinbares entstehen.

Autor/in:
Beatrice Tomasetti
Blick auf Groß St. Martin und den Kölner Dom / © ESB Professional (shutterstock)
Blick auf Groß St. Martin und den Kölner Dom / © ESB Professional ( shutterstock )

Vor zwei Jahren hat die ehemalige Kirche St. Elisabeth in Aachen als "Digital Church" Schlagzeilen gemacht. Hintergrund: Das profanierte Gotteshaus hatte zum Verkauf angestanden und war von dem Aachener Projektentwickler Norbert Hermanns und seiner Familie erworben worden. Heute ist dieses Privateigentum ein besonderes Denkmal, ein Kulturraum voller Spiritualität – zugleich offen für jedermann – und hat sich zum digitalen Zentrum Aachens und zum bundesweiten Referenzprojekt für die Entwicklung neuer Co-Working-Konzepte gewandelt. So jedenfalls steht es auf der Website der Digital Church. Und weiter heißt es da: "Der Co-Working-Space wird zur temporären Eventlocation. Immer kreativ, immer offen."

Mieter ist der Verein "digitalHUB", der zentrale Drehscheibe sein will, wenn es darum geht, Wirtschaft und öffentliche Hand bei den Herausforderungen der Digitalisierung zu unterstützen. Dafür hat er einige Startups mit ins Boot geholt, die nun unter neogotischen Spitzbögen an neuen Ideen für digitale Geschäftsmodelle tüfteln. Über die zusätzlichen Büroeinheiten in abgetrennten Teilbereichen des erweiterten Kirchenanbaus hinaus steht das große Mittelschiff für Kongresse, Tagungen, Ausstellungen, Konzerte und Firmenfeiern zur Verfügung.

"Das Konzept muss stimmig sein"

Hermanns hat an dem Konzept zu dieser speziellen Nutzung mitgearbeitet. Selbst Katholik, hatte der Investor konkrete Vorstellungen, wie weit er bei der neuen Bestimmung dieses Kirchengebäudes gehen wollte. Schließlich galt es zu berücksichtigen, dass sich Menschen von dem Herzstück ihrer Pfarrgemeinde verabschieden mussten, während sich andere – selbst wenn das bewusst ohne wesentliche Eingriffe in die Bausubstanz geschehen ist – einen neuen Arbeitsplatz in einem ausgedienten Kirchengebäude einrichteten.

Mittlerweile bekommt Hermanns viel Anerkennung für seine Initiative. Und er selbst versteht die nicht ganz unspektakuläre Realisierung seiner Idee als Beitrag zur aktuellen Diskussion, wie der Gründer der Landmarken AG sagt. Dabei ist die Wirkung seiner Architekturobjekte auf ihr jeweiliges Umfeld kalkuliert. "Ich kann mir auch gut Kulturkirchen oder Universitätskirchen als interdisziplinäre Treffpunkte vorstellen", sagt Hermanns. "In jedem Fall muss man genau hinsehen und einzeln vorgehen. Es muss stimmig sein."

Dass so etwas denkbare Zukunftsprojekte sein könnten – auch für Köln, machte der Gast aus Aachen bei einer Podiumsdiskussion auf Initiative der Kirche in Köln-Mitte und des Katholischen Bildungswerks deutlich, an der im Jugendpastoralen Zentrum CRUX außerdem noch Monsignore Markus Bosbach, Leiter der Hauptabteilung Seelsorgebereiche im Erzbischöflichen Generalvikariat Köln, Martin Struck, Kölner Erzdiözesanbaumeister; Susanne Laugwitz-Aulbach, Kulturdezernentin der Stadt Köln sowie Dr. Thorsten Drewes, Referatsleiter "Forschungsprogramm, StadtBauKultur" im Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung im Land NRW, teilnahmen. Sie alle stellten sich auf Einladung von Dr. Dominik Meiering, Leitender Pfarrer im Sendungsraum Mitte, den Fragen: Was wird in Zukunft aus den 26 Kölner Innenstadtkirchen? Welche Nutzung ist möglich und sinnvoll, und welche Aufgaben kommen dem Erzbistum Köln, der Stadt Köln oder aber auch dem Land NRW zu?

Mehr als nur die Nachmieterfrage klären

Nicht zufällig fand diese Gesprächsrunde im CRUX statt. Denn wo in den letzten Jahren ein zentraler Treffpunkt mit einer breiten Angebotspalette für junge Katholiken entstanden ist, hatte es seinerzeit auch schon Diskussionen um einen möglichen Abriss der Kirche St. Johann Baptist mit ihrem schiefen Turm gegeben. Von daher konnte der Veranstaltungsort schon mal hoffungsvoller Beleg dafür sein, wie aus einer veränderten Aus- und Einrichtung eines Kirchenraums eine sprudelnde Quelle neuen geistlichen Lebens werden kann.

Dass es ja nicht nur darum gehe, lapidar die Nachmieterfrage zu klären, sondern angesichts der immer dringlicher werdenden Debatte über einen angemessen Umgang mit den nicht mehr für die Gottesdienste genutzten Kirchenräume vor allem darum, gesamtgesellschaftlich Verantwortung zu übernehmen, stellte Henning Quanz vom WDR an den Ausgangspunkt seiner Moderation. So fragte er: Wie lässt sich angemessen mit einem reichen Erbe, nämlich diesen Sakralräumen im Stadtzentrum, aber auch an der Peripherie oder im ländlichen Raum, so umgehen, dass etwas Neues wachsen kann?

Landesbauministerium bietet Hilfe an

Die Kirche werde mit diesem komplexen Thema nicht allein gelassen, betonte Dr. Thorsten Drewes vom Landesbauministerium, der sich mit der politischen Dimension dieses Themas beschäftigt und jeder profanen Umnutzung vor einem möglichen Abriss den Vorzug gibt. Da der große und vielfältige Bestand der Sakralbauten als Dokumentation verschiedener Bautraditionen und Epochen diene und die Architektur bis heute noch Stadtbild prägend wirke, wie er sagte, sei es ein wichtiges Anliegen, diese Räume zu erhalten und in angemessener Weise an die Veränderungen anzupassen – für die betroffenen Kirchengemeinden, aber auch für die Gesellschaft als Ganzes.

"StadtBauKultur NRW" und Partner hätten sich mit dem Projekt "Zukunft – Kirchen – Räume. Kirchengebäude erhalten, anpassen und umnutzen" zur Aufgabe gemacht, die Sakralbauten Nordrhein-Westfalens vor Leerstand und Verfall zu bewahren und ein Netzwerk zur fachlichen Unterstützung aufzubauen. Seitens der Landesregierung gebe es dazu Prozess begleitende und damit praxisbezogene Angebote, die Gemeinden mit fachlicher Unterstützung bei der Herausforderung der zukünftigen Perspektivfindung ihres Sakralbaus konkrete Hilfestellung bieten. "Es gibt die Chance, aus Kirchenräumen etwas anderes zu machen, was aber trotzdem zu Gott führt", sagte Drewes. Dafür gebe es manches geglückte Beispiel. Ein Pennymarkt als Ergebnis einer langen Kette von Weiterverkäufen einer Kirchenimmobilie gehöre allerdings nicht dazu.

Erhalt der Kirchen ist oberstes Gebot

Der Hauptabteilungsleiter Seelsorgebereiche im Generalvikariat, Monsignore Markus Bosbach, benannte als Priorität den Wunsch, eine Kirche zunächst einmal als Kirche erhalten zu wollen – "das ist oberstes Gebot" – begrüßte aber auch Nutzungen, die "intelligent und emotional aufgeladen" sind. Noch habe das Erzbistum auf diesem Gebiet nicht viel Erfahrung, da es sich – anders als in Nachbarbistümern – in Köln um Einzelfälle handle, sagte der stellvertretende Generalvikar. Daher gebe es auch im Moment kein eigenes diözesanes Programm dafür. Trotzdem kenne er überzeugende Konzepte, die das Ergebnis vieler guter kreativer Kräfte seien. "Alles, was ich bisher gesehen habe, war überwiegend ermutigend", so Bosbach.

Trotzdem, so mahnte er zu bedenken, sei Kirche ja nicht nur ein Funktions-, sondern ein Sakralraum. "Was auch immer mit einer Kirche geschieht, ihre Hülle bleibt ja bestehen. Und eine Kirche predigt – so oder so", unterstrich er und argumentierte, dass es immer den Einzelfall zu prüfen gelte. Dabei sei – unter bestimmten Umständen – auch eine parallele Nutzung vorstellbar, wenn beispielsweise eine Kirche unter der Woche als Bücherei genutzt, das Heilige aber in der Zwischenzeit verhüllt werde, um die Würde des Ortes jederzeit zu wahren. "Wir werden in den nächsten Jahren noch viel Phantasie brauchen", stellte Bosbach fest. Dabei könne eine sinnvolle Initiative auch sein, dass beide Kirchen zusammen mit der Landesregierung eine gemeinsame Stiftung gründeten. Oder aber auch bürgerschaftliches Engagement – beispielsweise seitens von Karnevalsgesellschaften – sei in diesem Kontext willkommen. Gewissermaßen als "kölsche Lösung", merkte Bosbach schmunzelnd in einem Nachsatz an.

"Die Kirchen gehören den Menschen"

Eine Allianz aus bürgerschaftlichem Engagement und der Kulturszene kann sich bei dem Thema, gemeinsam Kräfte für den Erhalt der Innenstadtkirchen zu mobilisieren, auch Susanne Laugwitz-Aulbach vorstellen. Denn für die Kölner Kulturdezernentin sind die Kirchen ein Teil der Identität der Stadt, die – unabhängig von Glaube und Religion – mit Spiritualität konfrontierten und berührten, wie sie ausführte. Beim derzeitigen Prozess der Kulturentwicklungsplanung der Stadt, wo viele unterschiedliche Akteure mit am Tisch säßen, gehe es vor allem auch um die Frage: Welche Kulturräume können wir neu erschließen?

Dabei sei es unabdingbar, so Laugwitz-Aulbach, stolz auf die Kölner Kirchenlandschaft zu sein und die eine oder andere Idee seitens der Kirche mit einzubeziehen. Schließlich sei das Schnütgen-Museum ein gutes Beispiel für eine umgewandelte Kirche. Die Vertreterin der Stadt plädierte dafür, gemeinsam an einem Strang zu ziehen. "Die Kultur sollte nicht auf der einen und die Kirche auf der anderen Seite stehen. Hier müssen wir grenzüberschreitende Lösungen schaffen. Denn diese Räume gehören weder der Kirche noch der Kultur. Sie gehören den Menschen", betonte sie. Und darin liege eine große Hoffung.

Reizvolles Spiel mit Sakralem und Profanem

Für Kirchen als offene Räume und auch für eine weiterhin öffentliche Nutzung macht sich auch Martin Struck stark. Der Kölner Erzdiözesanbaumeister sprach in diesem Zusammenhang von unabschätzbaren Werten, die die Kirchen seien, und auch davon, welche Bedeutung Kirchenräume für die Menschen am Ort hätten, mit denen sie wichtige Ereignisse und Erinnerungen in ihrem Leben verknüpften. Trotzdem schlage schon der alleinige Bauerhalt manches Gebäudes mit 20.000 bis 30.000 Euro zu Buche. Auch das seien Realitäten, die bei jeder Diskussion um die Weiterverwendung von leerstehenden Kirchen oder ihrer Umnutzung bedacht werden müssten.

Er räumte ein, dass in dem bereits auf mancher Bühne ausgetragenen Spiel mit Sakralem und Profanem ein gewisser Reiz liegen könne, hatte aber zu manchen Beispielen – gerade in den Niederlanden, wo zuletzt eine Chorapsis zu einer Whisky-Bar umfunktioniert worden ist – kritische Anmerkungen. "Eine Gesellschaft drückt sich durch ihre Bauten aus", sagte der Bauexperte. Er hoffe, dass auch in zehn Jahren nicht augenscheinlich werde, "wie kulturvergessen unsere Gesellschaft ist".

Als einen "bunten Blumenstrauß mit vielen Blüten, die ihre je eigene Strahlkraft haben", bezeichnete Pfarrer Meiering die 26 Kölner Innenstadtkirchen. Er will in den nächsten Jahren einen großen Denkprozess anstoßen, bei dem er für eine "Koalition der Willigen" die Menschen aller Gemeinden ansprechen möchte, um mit ihnen gemeinsam nach tragfähigen Nutzungskonzepten zu suchen. Zunächst wird es erst einmal absehbar darum gehen, Eckpunkte zu definieren, sagte er. Dabei ist Meiering zuversichtlich: "Unsere Kirchen bleiben vom Geist Gottes aufgeladene Räume, in denen auch in Zukunft immer noch eine Kerze angezündet werden kann."


Als Verantwortungsträger miteinander im Gespräch: Dr. Thorsten Drewes, Msgr. Markus Bosbach, Susanne Laugwitz-Aulbach, Norbert Hermanns, Martin Struck, WDR-Moderator Henning Quanz. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Als Verantwortungsträger miteinander im Gespräch: Dr. Thorsten Drewes, Msgr. Markus Bosbach, Susanne Laugwitz-Aulbach, Norbert Hermanns, Martin Struck, WDR-Moderator Henning Quanz. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

"Die Kirchen zu erhalten ist oberstes Gebot", sagt der stellvertretende Generalvikar, Monsignore Markus Bosbach. / © Beatrice Tomasetti (DR)
"Die Kirchen zu erhalten ist oberstes Gebot", sagt der stellvertretende Generalvikar, Monsignore Markus Bosbach. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

"Die Kirchen gehören den Menschen", findet die Kölner Kulturdezernentin Susanne Laugwitz-Aulbach. / © Beatrice Tomasetti (DR)
"Die Kirchen gehören den Menschen", findet die Kölner Kulturdezernentin Susanne Laugwitz-Aulbach. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Auch aus dem Plenum gibt es Diskussionsbeiträge. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Auch aus dem Plenum gibt es Diskussionsbeiträge. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Erzdiözesanbaumeister Martin Struck behält die Realitäten im Blick: die hohen Kosten zum Erhalt von Kirchengebäuden. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Erzdiözesanbaumeister Martin Struck behält die Realitäten im Blick: die hohen Kosten zum Erhalt von Kirchengebäuden. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Innenstadtpfarrer Dr. Dominik Meiering freut sich auf einen intensiven Prozess mit den Gemeinden. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Innenstadtpfarrer Dr. Dominik Meiering freut sich auf einen intensiven Prozess mit den Gemeinden. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Dr. Thorsten Drewes sichert der Kirche Unterstützung vom Land zu. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Dr. Thorsten Drewes sichert der Kirche Unterstützung vom Land zu. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Nicht jedes Umnutzungsmodell sei tolerabel, sagt der Kirchenbauexperte Martin Struck. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Nicht jedes Umnutzungsmodell sei tolerabel, sagt der Kirchenbauexperte Martin Struck. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Msgr. Bosbach kann sich ein gemeinsames Engagament von beiden Kirchen und der Landesregierung in Form einer Stiftung vorstellen. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Msgr. Bosbach kann sich ein gemeinsames Engagament von beiden Kirchen und der Landesregierung in Form einer Stiftung vorstellen. / © Beatrice Tomasetti ( DR )
Quelle:
DR