"Ich hielte verheiratete Priester in bestimmten Regionen weder für einen Angriff auf die Weltkirche noch auf das Priesteramt", betonte er im Interview des "Kölner Stadt-Anzeigers" (Samstag). Am Sonntag (6. Oktober) beginnt in Rom die Amazonas-Synode, die Antworten auf die Herausforderungen der Kirche in dieser Region suchen soll. Dabei sollen auch Möglichkeiten erörtert werden, Messfeiern in entlegenen Gebieten sicherzustellen. An der Frage der Priesterweihe für verheiratete Männer werde sich entscheiden, "wie konkret das werden darf", so Kohlgraf.
Der Geistliche kritisierte zudem ein "Auseinanderbrechen der christlichen Botschaft und der Lebenswirklichkeit der Menschen". Es sei unbestreitbar, dass die Außenwirkung der Kirche von vielen "als nicht hilfreich" erlebt werde. Dies führe dazu, dass Menschen sich distanzierten. Umso wichtiger sei es, "dass wir in der Kirche diese Kluft zur Realität wahrnehmen und sie zu schließen versuchen". Darin sehe er die Aufgabe des viel diskutierten "synodalen Wegs". Die deutschen Bischöfe hatten diesen Reformprozess im Frühjahr mit großer Mehrheit beschlossen. Er soll nach dem Missbrauchsskandal verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen und zugleich nach Wegen für die Zukunft des kirchlichen Lebens suchen.
Auf andere Denkweisen einlassen
Kohlgraf plädierte im Interview auch für neue Sichtweisen in Sachen Sexualmoral. "Der Blick in die Kirchengeschichte zeigt, dass es - abgesehen von den Essentials im Glaubensbekenntnis - nichts gibt, was in der Kirche nicht dem Wandel der Zeit unterworfen gewesen wäre", sagte er. Die Lebenswirklichkeit der Menschen habe stets eine Rolle gespielt. Er rate daher zu größerer Gelassenheit und weniger Starre. "Ein Weg für eine Fortentwicklung wäre, sich von der Fixierung auf den Geschlechtsakt zu lösen und stattdessen das Ganze einer Beziehung zu sehen."
Mit Blick auf die Protestbewegung Maria 2.0, die unter anderem einen Zugang von Frauen zu allen Ämtern in der Kirche fordert, sagte der Bischof: "Das sind hoch engagierte Frauen - und auch Männer - aus der Mitte unserer Gemeinden." Auch wenn am Ende des "synodalen Wegs" sicher nicht die Frauenordination stehen werde, halte er es für entscheidend, "dass wir uns auf die Denkweise derer einlassen, die in dieser Frage nach Bewegung und Veränderung rufen". Er habe den Aktivistinnen von Maria 2.0 versprochen, ihr Unverständnis nach Rom weiterzugeben. "Wir schauen gemeinsam in dieselbe Richtung." Zudem, so Kohlgraf weiter, müsse er "schlicht konstatieren, dass die Einwände Roms gegen die Frauenordination vielfach nicht überzeugen".
Hollerich äußert sich positiv über "viri probati"
Auch der künftige luxemburgische Kardinal Jean-Claude Hollerich hat sich zu dem Thema geäußert. Er kann sich vorstellen, mehr verheiratete Männer zu katholischen Priestern zu weihen. Zur Debatte um eine Zulassung erfahrener Ehemänner, sogenannter "viri probati", zum Priesteramt sagte Hollerich am Freitagabend vor Journalisten im Vatikan, wenn im Amazonasgebiet ganze Regionen keine Eucharistie feiern könnten, sei das ein großes Problem. "Wenn da viri probati eine Lösung sind, warum nicht?", so der Erzbischof von Luxemburg wörtlich.
Hollerich, der am heutigen Samstag von Papst Franziskus ins Kardinalskollegium aufgenommen wird, verwies auf verheiratete Priester in katholischen Ostkirchen und auf übergetretene anglikanische Geistliche. Anders als manche behaupteten, gehe es nicht um die Theologie des Priestertums.
"Eine wunderbare Ergänzung"
Der 61-Jährige hob auch den unterschiedlichen Erfahrungshorizont von Ehemännern hervor: "Ich liebe meinen Zölibat, ich stehe dazu, aber ich sehe, dass die verheirateten Diakone anders predigen können als ich, und das finde ich an sich eine wunderbare Ergänzung."
Hollerich, der auch Vorsitzender der EU-Bischofskommission COMECE ist, nimmt auf persönliche Einladung des Papstes an der am Sonntag beginnenden Amazonas-Synode teil. Dabei sollen auch Möglichkeiten erörtert werden, Messfeiern in entlegenen Gebieten sicherzustellen.