DOMRADIO.DE: Die Lage in Hongkong kennt man aus den Schlagzeilen. Die Polizei spricht von einem möglichen Einsatz tödlicher Gewalt. Gestern hat sich auch die Zentralregierung in Peking zur ganzen Situation geäußert. Was wissen Sie denn über die Lage oder die Stimmung in Hongkong?
Katharina Wenzel-Teuber (Mitarbeiterin im China-Zentrum in Sankt Augustin): Bemerkenswert ist, dass viele der Demonstranten und auch der vielen Verhafteten sehr jung sind. Es sind viele Studenten und Schüler dabei. Die Proteste konzentrieren sich jetzt auch sehr stark auf die Universitäten. In der Polytechnischen Universität haben sich hundert oder mehr Protestierende verschanzt und seit Tagen ist das Gebäude von den Sicherheitskräften umzingelt.
Zunehmend ist nun auch die Bevölkerung Hongkongs in ihrer Haltung zu den Protesten gespalten. Am Anfang, als die Proteste noch friedlich waren, gab es ganz breite Unterstützung. Und jetzt - verständlicherweise - gibt es immer mehr Spaltung und Uneinigkeit. Die Menschen sind angesichts der Situation sehr besorgt und ratlos. Niemand weiß gerade, wie man auf friedliche Weise wieder aus dieser verfahrenen Lage herauskommen kann. Auch weiß niemand, wie sich Peking angesichts dieser Lage weiter verhalten wird.
DOMRADIO.DE: Es gibt einen interreligiösen Rat der Religionsgemeinschaften in Hongkong. Der betet für den Frieden, hält sich aber sonst mit politischen Äußerungen eigentlich relativ zurück, oder?
Wenzel-Teuber: Ich muss aber sagen, dass ich es erst einmal bemerkenswert finde, dass Hongkong überhaupt einen solchen Rat hat, und das schon seit 40 Jahren. Dazu gehören Buddhisten, Daoisten, Muslime, Christen und Konfuzianer. Das sind also sehr unterschiedliche Gruppen.
Traditionell ist der Rat tatsächlich eher unpolitisch, aber in letzter Zeit und in der Krise wurde er doch etwas deutlicher. Zum Beispiel hat er gestern angesichts der Eskalation der Situation an der Polytechnischen Universität eine Botschaft abgegeben. Da hat er auch die Polizei aufgerufen, den Demonstranten zu erlauben, den Campus friedlich zu verlassen, und sich als Vermittler angeboten.
Der katholische Weihbischof Joseph Ha ist übrigens mit Vertretern des Parlaments vor Ort gewesen. Er konnte aber nicht mit der Polizei sprechen. Natürlich sollte man auch die Kraft des Gebets in einer solchen verfahrenen Situation - gerade, wenn es auch noch von verschiedenen Religionen kommt - nicht unterschätzen.
DOMRADIO.DE: Wenn man sich grundsätzlich anguckt, wie sich die Religionsgemeinschaften zu den Protesten äußern, da kann man, glaube ich, sagen, dass die katholische Kirche immer noch eine Nummer deutlicher und politischer ist als die anderen Religionsgemeinschaften, oder?
Wenzel-Teuber: So direkt kann man das nicht sagen. Ich würde sagen, die Christen insgesamt waren vor allem am Beginn der Proteste deutlich sichtbar. Es gab Gebetstreffen vor den großen Demonstrationen. "Sing Halleluja to the Lord" war eine Zeit lang sogar so eine Art Hymne der Proteste. Und Weihbischof Ha und andere Geistliche haben Kontakt zu den protestierenden Jugendlichen gesucht. Sowohl von katholischer Seite als auch von ökumenischer Seite haben sich die Kirchen auch für die Rücknahme dieses umstrittenen Gesetzentwurfes zur Auslieferung und für die Einsetzung einer Untersuchungskommission zu Gewaltvorfällen eingesetzt.
Aber natürlich muss man sagen: Auch unter den Christen sind die politischen Vorstellungen verschieden. Das finde ich in einer offenen Gesellschaft ganz normal. Und jetzt mit der zunehmenden Gewalt auf beiden Seiten wird das natürlich auch schwieriger, sich zu positionieren. Die katholische Kirche sieht sich nun vor allem als Vermittlerin. Zum Beispiel hat Weihbischof Ha öfter gesagt, dass es darum geht, jetzt auch die vielen verletzten und zerrütteten Seelen der jungen Menschen durch diese anhaltenden Proteste und die Erfolglosigkeit zu heilen. Da hat sich große Wut angestaut. Es gibt dafür etwa psychologische Beratung oder Oasen-Tage. Die Diözese hat auch ein Gespräch mit der Jugend veranstaltet, um einfach auch deren Wünsche zu hören. Das ist das eine.
Aber es geht auch darum, dass in der Gesellschaft der Respekt vor der Würde eines jeden Einzelnen wiederhergestellt wird, eben auch über die Grenzen der Gegnerschaft hinweg. Weihbischof Ha hat mal gesagt: "Gott kann uns helfen, dass wir uns nicht gegenseitig als Kakerlaken und Hunde, sondern als Menschen sehen." Die Polizei nennt die Demonstranten wohl Kakerlaken. "Hunde" ist ein Schimpfwort, welches die Demonstranten für die Polizei nutzen. Diese Vermittlerrolle ist das, worauf die Kirche im Moment vor allem setzt. Aber natürlich ist ihnen auch bewusst, dass die Möglichkeiten, die sie haben, zur Lösung beizutragen, einfach sehr, sehr begrenzt sind.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.