Am Ende ist Pastor Christian Kopp froh, dass er den Glockenstuhl im Turm der Syker Christuskirche tatsächlich erreicht hat. "Als ich das erste Mal pausiert und mich umgedreht habe, dachte ich, das schaffe ich heute nicht", sagt der 41-Jährige völlig außer Atem. Da hatte er erst ein Drittel des Weges zurückgelegt. Kopp strahlt über das ganze Gesicht. Am Sonntag hat er den Turm seiner Kirche in Syke bei Bremen erklommen - von außen, an einem Seil hängend und bei echtem norddeutschen Schmuddelwetter.
Wette schon im Oktober verloren
Als Kopp sich in seinem Klettergeschirr rittlings auf das Sims der Schallluke schwingt, brandet 40 Meter unter ihm Jubel auf. Rund 500 Fans verfolgen das Spektakel und sind begeistert von ihrem Pastor: "Hut ab! Ich hätte mich das nicht getraut", sagt Zuschauer Ulrich Semrau.
Ingrid Nisse ist eigens von der Kaffeetafel im Gemeindehaus nach draußen geeilt, um Kopp Respekt zu zollen. "Mutig" findet sie seinen Kraftakt. "Manchmal muss man ungewöhnliche Maßnahmen ergreifen, um Aufmerksamkeit zu bekommen", sagt Wolfgang Klemm, ebenfalls Augenzeuge der Szenerie.
Die Aufmerksamkeit ist Kopp an diesem Tag sicher. Zahlreiche Kamerateams begleiten das Kletter-Spektakel am Rande der weihnachtlichen Kulturtage in Syke. Die Aktion ist das Ergebnis einer Wette nach Thomas-Gottschalk-Manier. Bereits im März hatte Kopp gewettet, dass der Förderverein für Gospel- und Kirchenmusik es nicht schaffen werde, innerhalb eines Jahres 120 Personen dazu zu motivieren, jeweils 120 Euro zu spenden. Die Niederlage stand bereits Ende Oktober fest. Statt der benötigten rund 14.400 kamen sogar 18.500 Euro zusammen. Das Geld wird für die zahlreichen Chöre und Musikensembles der Gemeinde benötigt.
Klettern für den guten Zweck
An diesem Sonntag muss Kopp nun liefern. Nachdem er geduldig Interview auf Interview gegeben hat, wird es endlich ernst. An einem Seil hievt er sich quasi selbst nach oben - mit Hilfe einer Handsteigklemme und einer Schlaufe, in die er den linken Fuß stemmt. Industriekletterer sichern ihn. Meter für Meter schiebt er sich voran. Unten rufen sie seinen Vornamen, ein aufmunterndes "Hey" und "Du schaffst es". Der Gospelchor stimmt "I'm on my way to kingdom land" an. Kopp ist gerührt: "Die Menschen haben mich hochgetragen."
Mehrere Male legt Kopp Pausen ein, pustet durch, winkt dem Publikum zu. "Ich bin eigentlich eher unsportlich", räumt der Theologe nachher lachend ein. Geklettert ist er zuvor noch nie. Trainiert hat er auch nicht. Ehefrau Katja Hedel (42) ist einigermaßen erleichtert, als ihr Mann ihr wieder gegenübersteht. "Ich habe aber darauf vertraut, dass die Fachleute ihn sichern." Auch Tochter Ida (1) mag ihren Papa lieber auf dem Boden als in luftiger Höhe. Sie läuft ihm in die Arme, und Kopp gibt ihr nach überstandenem Abenteuer erst einmal einen Kuss.