DOMRADIO.DE: Die fünf umsatzstärksten Rüstungsunternehmen sind alle US-amerikanische. Warum werden in den USA immer mehr Waffen produziert?
Jonas Wipfler (Misereor, Experte für Rüstungsexporte): In den USA gibt es ein ganz anderes Waffenrecht und ein ganz anderes Verständnis zu dem Thema Waffen: Es gibt eine andere Militär-Tradition und ein anderes Verhältnis zum Militär, was auch zum Teil glorifiziert wird. In den letzten Jahrzehnten gab es immer wieder große Interventionen in anderen Ländern durch die USA. Ich glaube aber auch, dass der Rüstungsbereich dort eher als Wirtschaftsbereich gesehen wird.
Zudem ist es so, dass neue Technologien, also automatisierte Systeme, Drohnen oder Roboter heute auch sehr viel mit der Privatwirtschaft zusammenhängen. Dort gibt es die großen Technologiefirmen, die an Fragen wie Sensorik oder Robotik forschen. Dadurch erklärt sich auch, dass dieser Bereich in den USA besonders wächst.
DOMRADIO.DE: Die Zahlen des Friedensforschungsinstituts sind aber auch nur annähernd exakt, denn aus China fehlen jegliche Daten zur Rüstungsproduktion. Wo gehen die weltweit produzierten Waffen überwiegend hin?
Wipfler: Die größten Märkte sind Asien und der Mittlere Osten, auf der Arabischen Halbinsel sind große Abnehmerstaaten. Natürlich ist China nicht in der Liste enthalten, das ist richtig. China hat wohl relativ konstant Mittel für Rüstungsgüter budgetiert. Das macht jedes Jahr den gleichen Prozentsatz im Haushalt aus. Aber der Haushalt ist insgesamt in China angewachsen, deswegen steigen dort auch die Rüstungsausgaben. Und schließlich werden die Handelswege in Asien immer wichtiger. Handelswege sind ja durchaus auch für viele Nationen schützenswert. Deswegen ist Asien auch ein Markt, zu dem viele Waffen hingehen.
DOMRADIO.DE: Seitdem die Wissenschaftler 2002 mit der Dokumentation begonnen haben, sind die weltweiten Waffenverkäufe um fast 50 Prozent gestiegen. Geht das einher mit einer Zunahme von Konflikten? Oder machen Waffen die Welt auch irgendwo sicherer, wie von Befürwortern behauptet wird?
Wipfler: Es ist sehr verblüffend, wie wenig Wissen wir über die Wirkung von Rüstungsexporten am Ende haben. Auch die Befürworter, die sagen "Das schafft mehr Sicherheit", haben da wenig gute Beispiele. Man muss sehen, dass Gewalt oder Konflikte mit verschiedenen Formen der Gewalt ausgeübt werden. Und wenn in bestehende Konfliktsituationen Waffen reinkommen, dann verschärfen sich die Konflikte sehr stark.
Wir haben das in Libyen gesehen: Als Libyen zusammengebrochen ist, sind sehr viele Waffen in den Sahel-Raum und nach Mali gegangen. In Mali haben bereits bestehende Konfliktparteien dann mit diesen Waffen den Konflikt, der schon vorher da war, nochmal gewaltsamer ausgetragen. Aus unserer Sicht ist der Zusammenhang, zu sagen "Mehr Waffen bringen mehr Sicherheit", auf gar keinen Fall wahr. Wir sehen eher den umgekehrten Fall, dass dort, wo schon Konflikte herrschen, wenn dann Waffen dazukommen, diese Konflikte sich noch viel stärker aufladen und andere Formen von Gewalt entstehen.
DOMRADIO.DE: Die Umsätze der deutschen Rüstungsunternehmen nahmen insgesamt um 3,8 Prozent ab. Das klingt jetzt erst mal gut, zeigt es nicht auch, wenn wir hier eine strenge Rüstungskontrolle betreiben, andere das Geschäft machen?
Wipfler: Es ist zum einen so, dass Deutschland in der Tat auf dem Papier eine relativ restriktive Rüstungskontrolle besitzt. Aber in der Umsetzung wird das zum Teil so nicht angewendet. Es gibt ja die bekannten Beispiele von Rheinmetall, die über italienische oder südafrikanische Tochterfirmen dann doch Staaten beliefern, die sie eigentlich nicht beliefern sollen. Also, es gibt auch Mittel, diese Rüstungskontrolle zu umgehen.
Im Kern muss man sagen: Rüstungsexporte sind eben kein normales Wirtschaftsgut und es ist ein Unterschied, ob man Spielzeug oder Kühlschränke oder Waffen exportiert. Es geht am Ende immer um Menschenleben und um Gewalt. Dementsprechend können wir das nicht wirtschaftlich begründen und sagen, wir lassen den Markt dann aus, den die anderen füllen. Das mag sein, aber das kann nicht die Richtschnur für unsere Politik sein.
Wenn sich Europa als Friedensmacht etablieren möchte und diesen Ruf weiter stärken möchte - den es aus meiner Sicht auch in den letzten Jahren doch recht stark vernachlässigt hat -, dann muss es um Alternativen dazu gehen. Dann muss es darum gehen, wie man diplomatische Mittel stärken kann. Wie kann man auch zivile Konfliktprävention stärken? Oder wie kann man auch den Dialog mit der Zivilgesellschaft stärken, wo wir von Misereor mit unseren Partnern vor Ort sehr aktiv sind, um Dialog-Foren zu schaffen. Auch nach Konflikten muss ein Dialog stattfinden, um auf längere Sicht ein gutes, friedliches Zusammenleben zu ermöglichen.
Das Interview führte Michelle Olion