17. Dezember 1944, dritter Adventssonntag: Im Konzentrationslager Dachau haben sich Häftlinge in der Kapelle zum Gottesdienst versammelt. Sie werden Zeugen eines historischen Ereignisses. Bleich und ausgezehrt tritt Karl Leisner in Albe zum Altar. Darunter trägt er seine gestreifte Häftlingskleidung. Für den 29-jährigen Diakon aus dem Bistum Münster geht an diesem Tag ein großer Wunsch in Erfüllung: Endlich empfängt er die von ihm so ersehnte Priesterweihe. Sie wird in die Annalen eingehen als die einzige, die jemals in einem KZ der Nationalsozialisten stattfand.
Die Geistlichen im Dachauer Priesterblock kannten den Insassen mit der Nummer 22356 gut. Vor allem wussten sie, wie auch der gleichfalls aus dem Bistum Münster stammende Priester Hermann Scheipers, um seine instabile Gesundheit. Als sein "Freund und Tischnachbar von Stube 3" wieder einmal sehr kränkelte, meinte ein anderer Insasse auf einem "Spaziergang" durch die Lagerstraße: Jetzt müsse nur bald ein Bischof eingesperrt werden, damit Karl noch zu seiner Weihe kommen könne. Dies geschieht wundersamerweise in der Person des Bischofs von Clermont, Gabriel Emmanuel Joseph Piguet.
Hintergründe
Dass es dann tatsächlich so weit kam, dazu trug die junge Imma Mack bei. Mit 20 Jahren hatte die Kandidatin der Armen Schulschwestern begonnen, aus der Lagergärtnerei des KZ Dachau Gemüsesetzlinge zu holen. Doch "Mädi", wie bald ihr Deckname lautete, erkannte schnell die Not der Insassen. Heimlich schmuggelte sie Lebensmittel und Medikamente ins Lager. Einmal steckten ihr die Häftlinge ein Foto zu. Es zeigte den todkranken Leisner. "Ganz zart" habe er ausgesehen, erinnerte sich die Ordensfrau später, und sie habe keine Sekunde gezögert, mitzuhelfen die Weihe zu organisieren.
Äußerst mühsam seien alle Details eingehalten worden, "die 20 Jahre vor dem II. Vatikanum allen noch unumgänglich schienen", wie Scheipers notiert. Über die Verkaufsstelle der Plantage lief die Korrespondenz. So übergab Mack im Advent 1944 dem Münchner Kardinal Michael von Faulhaber einen Brief, in dem die Priesterweihe beantragt wurde. Seine Erlaubnis und die von Leisners Heimatbischof, Clemens August Graf von Galen, mussten eingeholt werden.
Vorbereitungen im Konzentrationslager
Indes wurden in den Lagerwerkstätten heimlich Bischofsgewänder und eine Mitra angefertigt. Ein Russe schmiedete in der Schlosserei einen Bischofsring. Ein Benediktinerpater schnitzte aus Holz einen Hirtenstab mit der Inschrift "Victor in Vinculis" - Sieger in Fesseln. Die Vorbereitungen liefen, die SS schien es nicht zu kümmern.
25 Jahre war Leisner alt, als er im Dezember 1940 nach Dachau kam. Wegen "staatsfeindlicher Äußerungen" hatte ihn die Gestapo ein Jahr zuvor in Sankt Blasien im Schwarzwald, wo er sich zu einer Kur aufhielt, in Schutzhaft genommen. Denunziert worden war er von einem Mitpatienten wegen einer Bemerkung zum missglückten Attentat von Georg Elser auf Adolf Hitler am 8. November 1939 im Münchner Bürgerbräukeller. Die Nazis hatten den 1915 im niederrheinischen Rees geborenen Leisner aber schon länger im Visier. Ihnen missfiel seine Arbeit in der Jugendseelsorge der Diözese.
Letzte Ruhe im Dom zu Xanten
Nach Gefängnisaufenthalten in Freiburg und Mannheim brachten ihn die Nazis ins KZ Sachsenhausen und dann nach Dachau. Dort lag er die meiste Zeit auf der Krankenstation, weil seine Lungenkrankheit wieder ausgebrochen war. Von der Station musste der Diakon am Tag seiner Priesterweihe auch heimlich in die Kapelle geholt und wieder zurückgebracht werden. Am 26. Dezember, dem Tag des heiligen Stephanus, feierte Leisner seine erste und einzige heilige Messe. "Es war für uns alle ein bewegender Augenblick, als er uns den Primizsegen gab", schreibt Scheipers.
Die Befreiung von Dachau durch die US-amerikanischen Soldaten erlebte Leisner als Todkranker noch. Er verstarb am 12. August 1945 im Sanatorium Planegg bei München. Papst Johannes Paul II. sprach den Märtyrer 1996 selig. Seine letzte Ruhe fand er im Dom zu Xanten.