DOMRADIO.DE: Sie sind aktuell sogar noch im Einsatz, wenn ich das richtig verstanden habe?
Dr. Heiner Koch (Erzbischof von Berlin): Ja, wir schließen unsere Nacht, in der wir durch die Berliner Einsatzstellen gefahren sind, mit einem Frühstück in einer Unterkunft für Frauen und Mitarbeiter des Sozialdienstes katholischer Frauen ab. Das ist ein guter Abschluss dieser eindrucksvollen Nacht.
DOMRADIO.DE: Wie lange waren Sie denn auf den Beinen? Und was haben Sie alles erlebt?
Koch: Ich bin um 2 Uhr heute Nacht losgefahren. Wir waren zunächst bei der Einsatzstelle der Feuerwehr in Berlin und haben dort mit Menschen gesprochen, die Tag und Nacht die Notdienste koordinieren. Das sind sowohl Krankendienste mit Rettungswagen, technische Hilfsdienste oder Löschdienste. Das war wirklich sehr eindrucksvoll zu erleben, wie Menschen mit riesigen Computeranlagen ihre Dienste koordinieren.
Sie müssen sehr wach sein und dazu auch sehr sensibel am Telefon reagieren. Denn die Anrufer sind entweder Menschen in größter Not – vielleicht sogar ganz hilflos – oder sie sind verwirrt. Interessant ist auch, wie viele dort anrufen, weil sie seelsorgerische Anliegen haben. Diese Menschen rufen dann tatsächlich eine Nummer an, die ihnen irgendwie bekannt ist. Das sind eben oft die Notfallnummern.
Mir sind insgesamt Menschen begegnet, die mit großer Freude diesen Dienst machen – und auch mit sehr viel Aufmerksamkeit, Achtsamkeit und Wachheit. Das sind adventliche Menschen.
DOMRADIO.DE: Sind gerade in der Vorweihnachtszeit häufiger solche Anrufe von Menschen zu verzeichnen, die "nur" jemanden zum Zuhören brauchen?
Koch: Ja, das haben die Mitarbeiter auch gesagt. Wir haben aber bei meiner zweiten Station in einem Notfallkrankenhaus und einer Unfallklinik gehört, dass die Zahl der Suizidfälle in diesen Tagen deutlich höher ist. Wir haben auch einen solchen Notfall miterlebt, der eingeliefert wurde. Da geht es wirklich um Leben und Tod und man muss unglaublich schnell reagieren. Das sei signifikant in diesen Tagen, anders als das ganze Jahr über.
DOMRADIO.DE: Wie haben die Einsatzkräfte reagiert, dass plötzlich der Berliner Erzbischof vorbeigekommen ist?
Koch: Wir wurden durch die Bank weg sehr herzlich aufgenommen. Das gilt auch für die Polizei am Alexanderplatz. Ich bin keinem begegnet, der mürrisch oder nörgelnd seinen Dienst getan hat. Sie haben sich gefreut, dass ihnen einmal gedankt wurde.
Sie stehen ja für eine Institution und oftmals wissen viele gar nicht, dass da Menschen mit ihrer Geschichte und mit ihren Gesichtern hinter stehen. Es ist gut, einmal wahrgenommen zu werden. Sie kommen immer ins Rampenlicht, wenn etwas nicht läuft und die Öffentlichkeit sich dann böse über sie äußert. Es hat ihnen sehr gut getan.
Vor allem war es uns aber eine wirklich innere Pflicht, Danke zu sagen. Weihnachten hat immer auch etwas mit Danke zu tun und wir wollten diesen Dank in der Stadt einmal deutlich zum Ausdruck bringen.
DOMRADIO.DE: Warum ist es so wichtig, tatsächlich einmal Dankeschön zu sagen, aber auch das Dankeschön auf der anderen Seite zu erhalten?
Koch: Wir leben von Menschen, die sich sehr stark für andere Menschen einsetzen. Das geschieht viel öfter, als wir zunächst denken. Sie sind nachts wach, arbeiten und wir können uns auf sie verlassen. Mir erscheint es für das Klima der Stadt und die Motivation der Menschen enorm wichtig, diesen Dank auszudrücken. Sie leben auch von einem Dankeschön, das ist sehr deutlich geworden.
Ich glaube, das tut uns allen besonders in diesen Tagen gut, wahrzunehmen, dass das alles nicht selbstverständlich ist. Es ist doch nicht selbstverständlich, dass sich Menschen so fachkundig, engagiert, persönlich und mit so viel Empathie und Herz Nacht für Nacht, Tag für Tag zur Verfügung stellen und ihren Dienst leisten. Man nimmt vieles für selbstverständlich hin, was nicht selbstverständlich ist. Da bin ich sehr froh, dass das auch in so einer Metropole wie Berlin der Fall ist.
Das Interview führte Carsten Döpp.