Jamie Aten weiß noch genau, welche Verwirrung 2009 unter den Gottesdienstbesuchern herrschte. Damals sahen sich die US-Kirchen mit "H1N1" konfrontiert - einem weltweit grassierenden Virus, das im Volksmund als Vogelgrippe bekannt wurde. Aten lebte zu der Zeit im US-Bundesstaat Mississippi. Die lokalen Gesundheitsbehörden rieten den Kirchengemeinden seinerzeit dringend, den Gottesdienstbesuchern nicht Hostien und Wein zu reichen.
"Das kam nicht gut an", erinnert er sich. Staatliche Gesundheitsexperten waren nicht gut gelitten bei den Kirchenführern, Misstrauen zwischen Gläubigen und Behörden machte sich breit. Aten ist inzwischen Direktor des "Humanitarian Disaster Institute" am Wheaton College in Illinois, dem ersten akademischen Katastrophen-Forschungszentrum des Landes.
Das Zentrum unterstützt jetzt Kirchen im Umgang mit "Covid-19".
Geistliche improvisieren
Pfarrer sollten einen konkreten Plan zum Umgang mit dem Virus haben, fordert Aten. Einen, der auf Empfehlungen von Gesundheitsexperten basiert, Gläubige aber nicht verängstigt. Genau das scheinen die Kirchengemeinden zu beherzigen - statt Panik am Altar improvisieren Geistliche landesweit den Umgang mit religiösen Riten. Anders als 2009.
Und die US-Bischöfe ziehen dabei an einem Strang. In dieser Woche veröffentlichten sie auf der Webseite der US-Bischofskonferenz einen Leitfaden für alle Diözesen, wie mit dem Coronavirus im Umgang mit den Gläubigen und während der Messe umzugehen sei. Die meisten praktischen Vorsorgemaßnahmen wenden die Kirchen vor Ort schon seit Wochen in Eigenregie an, weil Gesundheitsbehörden der Bundesstaaten und die Gemeinden Hand in Hand arbeiten.
So beginnen Messen in der Regel inzwischen mit Aufklärungen über das Virus und praktischen Sicherheitstipps. "Das ist für uns außergewöhnlich", so Pastor Joshua Miller von der St. Charles Borromeo-Kirche der Diözese Joliet in Illinois. Aber jeder verstehe die Notwendigkeit, lobt er das Verständnis der Gottesdienstbesucher.
In der Kirche Saint Mary's im Südosten von Wisconsin befolgen Gläubige genau das, was ihnen Pfarrer Roman Stikel geraten hat: Statt den Friedensgruß per Handschlag zu entrichten, belassen es die Kirchgänger nun bei einem sanften Verbeugen in Richtumg Banknachbar.
Abschied vom Weinkelch
Auch vom Weinkelch bei der Heiligen Eucharistie nehmen die Gläubigen vorübergehend Abschied. Ende Februar verfügte die Diözese Paterson in New Jersey mit sofortiger Wirkung, das Trinken aus dem Gemeinschaftskelch einzustellen. Die Diözese Brooklyn, zu der auch Queens und New York gehören, schreibt ihren Gemeinden zwar noch nichts vor, empfiehlt aber den Pfarrern, die Hostie nur noch auf die Hand und nicht mehr auf die Zunge zu legen. Selbst Gesangbücher und Körbe für die Kollekte, die in normalen Zeiten durch alle Hände gehen, sollen in den USA vorübergehend aus dem Verkehr gezogen werden.
Aus Vorsicht vor dem gefährlichen Virus bleiben auch nicht die Weihwasserbecken an den Kirchenportalen verschont. Das Wasser ist fast überall entfernt, stattdessen stehen Desinfektionsflaschen im Eingangsbereich der Gotteshäuser. Älteren und Kranken wird nahegelegt, auf absehbare Zeit auf den Besuch der Messe zu verzichten. In Kalifornien raten die Diözesen allen, denen auch "nur leicht unwohl" ist, gleich zu Hause zu bleiben.
Die Sorge um das Wohl der Gemeindemitglieder scheint berechtigt: Nach Angaben der Gesundheitsbehörden sind bis jetzt mehr als 100 US-Amerikaner in 15 Bundesstaaten mit dem Coronavirus infiziert.
Sonst hilft Facebook
Mindestens neun Menschen erlagen inzwischen dem Virus. Und die Infektionsgefahr droht nicht nur in den Kirchenbänken. Das mussten schon Schüler und Lehrer der katholischen Saint Raphael Academy in Rhode Island erfahren. Während einer Italien-Exkursion infizierten sich mindestens zwei Teilnehmer.
Sollte das Virus in den USA weiter um sich greifen, droht sogar das Szenario von Kirchenschließungen. Was Jamie Aten gelassen sieht. "Jeder kann eine Live-Predigt auf Facebook halten", gibt sich der Experte pragmatisch. "Sollte es soweit kommen."