Ruhig, ja fast beschaulich schaut es derzeit in Oberammergau aus. Die Berge rundum sind mit Schnee überzuckert. An manchen Häusern hängen von den Giebeln herab noch die Sterne der Weihnachtsdeko. In den Modegeschäften hat schon die Frühjahrsgarderobe Einzug gehalten. Wer auf Besuch in den 841 Meter hoch gelegenen Holzschnitzerort kommt, greift dennoch gern zu den reduzierten Winterschals. Abends nämlich sinkt das Thermometer unbarmherzig in Richtung Gefrierpunkt.
Sorge um das Virus längst angekommen
Eingemummt in Anoraks und Mützen stehen die "Apostel mit ihrem Rabbi" an einem Märzabend auf der Bühne des Passionsspielhauses. Geprobt wird das Letzte Abendmahl. Jesus-Darsteller Frederik Mayet hat sich zusätzlich einen Schal ums Gesicht gezogen und vermittelt den Eindruck, als hätte er sich mit der "autonomen Szene" gemein gemacht. Nur nicht krank werden, lautet das unausgesprochene Mantra. Eine heftige Erkältung kann sich hier keiner erlauben. Und natürlich ist die Sorge in Sachen Coronavirus längst angekommen.
Am Dienstag verfügte die bayerische Staatsregierung, dass im Freistaat bis 19. April keine Veranstaltungen mit über 1.000 Leuten mehr stattfinden dürfen. Rein vorsorglich. Tricksereien bei der Zuschauerzahl würden nicht geduldet, hieß es. Oberammergau übt sich in Gelassenheit - vorerst. Die Proben gehen weiter, wie Pressesprecherin Franziska Zankl der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) versichert. Massenszenen ausgenommen.
Ausnahmen von Proben freigestellt
Von den Proben freigestellt sind bis auf weiteres bestimmte, besonders ansteckungsgefährdete Personen: Wer zuletzt in einem Risikogebiet war, über 70-Jährige mit Vorerkrankungen wie COPD oder Asthma, altersunabhängig Diabetiker und Leute mit Herz-Kreislauf-Problemen. So ist es auf der Internetseite der Passionsspiele zu lesen. Zudem heißt es, der "höchstmögliche Standard" an Hygiene, Sicherheit und medizinischer Versorgung bei den Passionsspielen und den davor stattfindenden Jugendtagen sei gewährleistet.
Die Oberammergauer kann eben so leicht nichts erschüttern. Wenn es um die Passion geht, sind sie hart im Nehmen. Gelübde ist Gelübde, und daran hält man sich im Namen des Herrn seit 1634. Der Zuschauerraum gleicht momentan einer Werkstatt. Am Westausgang ist vorübergehend das goldene Kalb, um das die Israeliten im "stehenden Bild" tanzen werden, zwischengelagert. Ein Anhänger für große Lasten steht direkt vor der Bühne. Wer nicht aufpasst, kann über Holzleisten und Bretter stolpern; immer griffbereit mehrere Kabeltrommeln und ein tragbarer Lautsprecher, falls Musik, gesteuert übers Handy, eingespielt werden muss.
Warmer Tee oder Kaffee in der Thermosflasche zählen zur Grundausstattung der Akteure. Bevor es auf die Bühne geht, sitzen die Darsteller der Jünger und die beiden "Jesusse" in der geheizten Theaterkantine und gehen mit Spielleiter Christian Stückl den Text fürs Letzte Abendmahl durch. Stückl versucht, seinen vorwiegend jungen Akteure den richtigen Tonfall zu vermitteln, der zur angespannten Atmosphäre unter den Jesus-Anhängern passend ist.
Premiere am 16. Mai geplant
Zum Pessachfest hat man sich versammelt, doch die Emotionen gehen über. Frust macht sich breit. Vor allem Judas, der so viel Hoffnung in Jesus setzte, dass dieser mit den Römern aufräumt, ist enttäuscht. Politisch hat sich nichts verändert. Auch die anderen Jünger mosern, die Menschen kämen zwar, um Jesus zu erleben, wie er predigt und Wunder wirkt. Doch Veränderungen - Fehlanzeige. So wie bei Greta und dem Klimawandel, stellt Stückl einen Bezug zur Gegenwart her. Sofort entbrennt eine Debatte, die Truppe ist im Thema.
Und Corona? Am Weißen Sonntag, der den Namen von den weißen Gewändern der Täuflinge hat, die in der Osternacht einst die Taufe empfingen, wird sich entscheiden, was weiter passiert bei der Passion. Am 16. Mai soll Premiere sein. Mit dem nötigen Gottvertrauen wird das Spiel vom Leiden und Sterben Jesu schon nicht ausfallen. Und wenn doch? Wird Stückl einen seiner Lieblingssprüche strapazieren: "Über was lacht Gott am meisten? - Über Pläne."