Als ihn der Anruf erreicht, ist er gerade an der Isar. Man hört durchs Telefon die Kirchenglocken läuten, wie immer um zwölf Uhr mittags. "Ja hallo, hier ist der Pfarrer." Wie sein Sonntag war? "Alles ganz normal, nur ohne Messe." Rainer Maria Schießler, Pfarrer von Sankt Maximilian in München, klingt betont unaufgeregt. "Es gibt keinen Grund zu jammern", findet der 59-Jährige.
Er hat seine Kirche ganz geschlossen
Der Priester zählt zu den bekanntesten Geistlichen Deutschlands. Er hat Bestseller veröffentlicht, ist in den Medien allgegenwärtig, und auch seine Sonntagsgottesdienste sind meist sehr gut besucht. Jetzt, nach den verschärften Verfügungen der bayerischen Staatsregierung vom Freitag, hat er seine Kirche ganz zugesperrt, obwohl er das gar nicht müsste. "Die Kirche ist ein Versammlungsort, und Versammlungen sind verboten", sagt er. Wenn Gläubige in die Kirche kämen, und sei es, um privat zu beten, "kann ich nicht garantieren, dass sie sich dort nicht versammeln." Also lock down.
Wie immer am Sonntag hat der Pfarrer "seine persönlichen Dinge gemacht", wie er erzählt: Stundengebet, Korrespondenz. Er ist in die Kirche gegangen, hat geschaut, ob alles in Ordnung ist, Kerzen angezündet. Wie immer - nur dass er diesmal allein war.
Seine Predigt hat er wie immer auf Facebook gepostet. Ein kurzer Text über die Bedeutung der Innerlichkeit für den christlichen Glauben, der nicht beim äußeren Tun stehen bleiben dürfe. Darum gelte es sich jetzt zu bemühen, zu entdecken, was es heißt: "Christus lebt in mir." Wenn alle äußerliche Geschäftigkeit an ihr Ende gekommen ist. 192 seiner Facebook-Freunde gefällt das bisher.
E-Mails, Telefon, Social Media
Wer Schießler zu kennen meint, mag sich wundern. Von irgendwelcher spezieller "Action" ist dieser Priester in Corona-Zeiten weit entfernt. Als Seelsorger ist er trotzdem weiter gefragt, aber anders. "99 Prozent läuft über E-Mail." An die 100 Mails bekomme er jeden Tag. Wenigstens zwei Drittel versucht er zu beantworten. Rund um die Uhr erreichbar, auch telefonisch, ist er sowieso.
Die Zahl derer, die ohne Internet sind, hält Schießler für verschwindend gering. Kürzlich hat er die elektronische Zuschrift einer 95-jährigen Altenheimbewohnerin erhalten. "Bei allem Fluch der sozialen Medien. Das ist der Segen. Wie willst Du sonst mit den Leuten kommunizieren?" Wer nicht online ist, der erhält Post oder einen Anruf. Ein Helferkreis aus Ehrenamtlichen "hält die Fühler in den Wind", wo jemand Unterstützung braucht - oder nur jemanden zum Zuhören.
Sichtbares und Unsichtbares
Das sichtbare Gemeindeleben ist auf Null geschrumpft. Keine Ausnahmen, keine kreativen Spezialformate. "Die Leute sind realistisch und darauf eingestellt, dass sehr viele Dinge jetzt einfach nicht gehen", sagt Schießler. "Jetzt müssen wir uns als Christen durch die Brücke des Gebetes miteinander verbinden." Jeder in seiner Kammer. "Jeder hat ein Kreuz, vielleicht ein Heiligenbild, eine Kerze. Und schon ist der Hausaltar fertig." Schule daheim - Kirche daheim.
Schießler sagt, er sei darüber gar nicht so unglücklich. "Ich weiß nicht, wo da die Tragödie ist." Die Sonne scheine, die Menschen könnten joggen und spazieren gehen. "Wir müssen uns beschränken, aber das stecken wir doch locker weg." Andere, die vor 75 Jahren im total zerbombten München vor den Trümmern ihrer Existenz gestanden seien, hätten das doch auch geschafft. Er sei in Gedanken in Italien, wo täglich 800 Menschen stürben, wo sie gar nicht mehr wüssten wohin mit den Särgen. "Da ist doch eine leere Kirche nichts dagegen, ein Windhauch." Was heißt: Nicht der Rede wert.
Wichtiger ist ihm die Beteiligung an der politische Diskussion über das, "was jetzt notwendig ist". Dass es bisher keine einheitliche bundesdeutsche Regelung gibt, kann Schießler nicht verstehen. Den bayerischen Weg hält er für richtig, nun müssten doch auch alle anderen Bundesländer mitmachen.