Die Katholische Jugendagentur Köln (KJA) betreibt in der Domstadt zwei Wohnheime für junge Frauen und Männer zwischen 15 und 27 Jahren, die nicht mehr bei ihren Eltern wohnen können. In den Familien gibt es zum Beispiel finanzielle Probleme oder Gewalt. In den Heimen stehen den Bewohnern Pädagogen zur Seite.
KNA: Die Jugendlichen in ihren Einrichtungen gehen eigentlich zur Schule oder machen eine Ausbildung. Wie haben sie reagiert, als Schulen und Berufsschulen wegen der Corona-Pandemie geschlossen haben?
Peter Steffen (Katholische Jugendagentur Köln / KJA): Zuerst haben sie sich über die "Corona-Ferien" gefreut. Nach einigen Tagen kam aber die Ernüchterung. Viele Nachrichten erreichen die Jugendlichen über die sozialen Medien. Sie haben gemerkt: Die Sache ist ja ernst. Als dann die Ausgangsbeschränkungen kamen, haben die meisten sehr gut reagiert. Das hat uns schon erstaunt, wobei der Gesprächsbedarf natürlich groß war. Jetzt halten sich die meisten im Haus auf. Gut ist, dass die Bewohner Einzelzimmer haben.
KNA: Also, keine Corona-Partys?
Steffen: Nein, bei uns im Haus sowieso nicht.
KNA: Fitnessstudios haben geschlossen. Sie haben aber den hauseigenen Fitnessraum für Ihre Bewohner offengehalten. Warum?
Steffen: Wenn sich junge Menschen über eine längere Zeit nur mit Fernsehen oder Internet beschäftigen, entsteht Langeweile, die in Aggression umschlagen kann. Der Fitnessraum ist eine Möglichkeit, Energie loszuwerden. Es dürfen aber nur zwei Personen zur selben Zeit trainieren. Und danach müssen sie die Flächen mit Desinfektionsmittel reinigen. Auch im Speiseraum können nur zwölf Personen gleichzeitig essen. Das klappt erstaunlich gut. Unsere Mitarbeiter stemmen jetzt viele neue Angebote, etwa Sportkurse im Freien oder einen Foto-Workshop mit dem Smartphone. Dabei achten wir darauf, die Distanzregeln einzuhalten.
KNA: Das klingt nach viel Mehrarbeit für Ihre Mitarbeiter.
Steffen: Das ist es auch. Ein Großteil unserer Bewohner ist vorbelastet. Der Struktur-Geber Schule fällt derzeit weg, viele therapeutische und auch psychiatrische Angebote finden nur eingeschränkt statt. Das müssen wir durch pädagogische Arbeit auffangen. Die Herausforderung für die Mitarbeiter lautet, sich selbst nicht anzustecken und trotzdem den Bewohnern gerecht zu werden. Das ist wirklich die Quadratur des Kreises. Je länger die Krise dauert, desto anstrengender wird es für uns und für die Jugendlichen.
KNA: Wie versuchen Sie, diese Herausforderung zu lösen?
Steffen: Gespräche müssen nach wie vor stattfinden, weil wir zum Teil sehr belastete Jugendliche haben, die auf einen regelmäßigen und vertrauensvollen Austausch angewiesen sind. Wir achten allerdings auf Distanz und stellen zum Beispiel die Tische so, dass sich Jugendliche und Pädagogen mit mindestens zwei Metern Abstand unterhalten.
KNA: Mit welchen Sorgen kämpfen die Jugendlichen gerade jetzt?
Steffen: Viele Bewohner stehen unter Druck. Das Schuljahr geht langsam zu Ende, einige müssen einen Ausbildungsplatz finden. Manche haben schon einen und fürchten jetzt, dass sie die Stelle nicht antreten können, sollten sie die Schule bis zum Sommer nicht abschließen können. Wir müssen die Jugendlichen da beruhigen und den Druck rausnehmen.
KNA: Wie Krankenhäuser und Supermärkte gehört auch die Kinder- und Jugendhilfe in Nordrhein-Westfalen zur kritischen Infrastruktur. Was bedeutet das in der Praxis?
Steffen: Wir Erzieher müssen jeden Tag für unsere Klientel da sein, auch wenn wir dafür ein Risiko auf uns nehmen. Wir können die Bewohner nicht einfach nach Hause zu ihren Eltern schicken. Da würden sie wieder in genau den Situationen landen, aus denen sie herausgefunden haben. Das Vertrauen, das wir über Monate und Jahre aufgebaut haben, würde so zerstört.
KNA: Was passiert, wenn sich ein Bewohner mit dem Coronavirus infiziert?
Steffen: Der Erkrankte müsste in Quarantäne in sein Einzelzimmer. Im schlimmsten Fall hätten wir die Möglichkeit, ganze Teile von Etagen abzutrennen. Was das tatsächlich bedeuten würde, kann aber im Moment keiner abschätzen.
Das Interview führte Anita Hirschbeck.