DOMRADIO.DE: Herr Roth, Sie gehören zu den bekanntesten Bestattern Deutschlands vielleicht sogar weltweit – auch weil Ihr Vater Fritz Roth als ein Pionier in Sachen Trauerarbeit und Bestattungskultur galt und so etwas wie die "Trauerpower" begründete. Jedenfalls ermunterte er zu einem neuen Umgang mit Sterben und Tod und dazu, „sich die Toten nicht stehlen zu lassen“. Heute führen Sie in seinem Geist das Unternehmen weiter. Was fühlen Sie, wenn Sie die Bilder aus Italien und Spanien sehen, auf denen bis zu 1000 Särge am Tag von militärischen Einsatzkräften abgeholt werden und ein persönlicher Abschied für die Angehörigen nicht möglich ist?
David Roth (Bestatter und Trauerbegleiter, Bergisch Gladbach): Das macht mir Angst. Wenn es um meine Mutter ginge, würde ich nicht akzeptieren, so abgefertigt zu werden und keine Gelegenheit mehr zu bekommen, die Verstorbene ein letztes Mal zu sehen und von ihr Abschied zu nehmen. Die Bilder machen mich auch deshalb so betroffen, weil im Süden Europas gerade das Gegenteil von dem geschieht, was wir bei uns aus Überzeugung praktizieren. Denn Angehörige haben das Bedürfnis zu begreifen – und das meine ich durchaus wörtlich – dass dieser Abschied nun real und endgültig ist. Der Tod ist ein so einzigartiger unwiederbringlicher und auch persönlicher Moment von herausragender Bedeutung, dass ganz viel fehlt, wenn das von den Hinterbliebenen nicht miterlebt werden darf und sie mit der Todesnachricht völlig allein gelassen werden. Sie brauchen den Schritt des Verstehens dieses Verlustes. Nur wenn ich begreife, was der Tod ist, weiß ich auch, was Leben ist. Der persönliche Umgang mit dem Tod – eine Berührung des Verstorbenen oder doch wenigstens seines Sarges – bekommt hier keine Chance; das bedeutet zusätzlichen Schmerz.
DOMRADIO.DE: Sicherlich ist die Lage in Norditalien eine Ausnahmesituation und der momentanen Überforderung mit unzähligen Toten geschuldet. Aber wäre so etwas – bei einem Anstieg der Todesopfer – theoretisch auch bei uns in Deutschland denkbar?
Roth: Zum Glück ist unsere momentane Situation anders. Zurzeit können wir nicht feststellen, dass sich die Corona-Krise rein zahlenmäßig auf unsere Arbeit auswirkt. Es wird nicht mehr gestorben als vorher. Und selbst wenn sich die Situation zuspitzen würde, wäre es wichtig, nicht in einen Panikmodus zu verfallen, sondern sich immer noch mit Besonnenheit für den einzelnen Trauerfall die Zeit zu nehmen, die notwendig ist, um Angehörigen ihren ganz individuellen Abschied so, wie er für sie gut und richtig ist, zu ermöglichen. Zur Not – also im Falle einer deutlichen Zunahme an Bestattungen – müssten wir eben alle etwas näher zusammenrücken. Aber Wege, einen Menschen in Würde zu verabschieden, würden wir immer finden.
DOMRADIO.DE: Etwas rein Technisches, weil so viele Falschinformationen in Umlauf sind: Besteht für Sie eigentlich eine Ansteckungsgefahr, wenn Sie Menschen mit einer Corona-Infektion bestatten?
Roth: Zunächst einmal: 99 Prozent der Verstorbenen sind nicht mit Covid-19 infiziert. Und dann beachten wir ohnehin alle Hygiene-Empfehlungen und sind mit der entsprechenden Schutzkleidung ausgestattet. Außerdem sind wir in gutem Austausch mit der Polizei und den Gesundheitsbehörden. Und dann ist es ja auch so, dass von einem Verstorbenen keine Infektionsgefahr mehr ausgeht, wenn wir ihn zum Beispiel waschen und herrichten. Hinzu kommt, dass wir ja ohnehin keine Angst vor Berührung haben. Und das versuchen wir auch Angehörigen zu vermitteln, die oft automatisch davor zurückweichen, den Verstorbenen noch einmal anzufassen. Dabei tragen allein schon diese rein haptischen Wege, den Toten zum Beispiel zu umarmen oder zu küssen, zu einem besseren Begreifen bei.
DOMRADIO.DE: Was hat sich denn für Sie seit Ausbruch der Corona-Krise verändert? Immerhin sollen Trauerfeiern nur im engsten Familienkreis mit Verwandten ersten Grades stattfinden. Auf diese Weise können Sie derzeit doch sicher nicht das ganze Paket Ihrer Leistungen abrufen…
Roth: Natürlich spüren wir diese Einschränkungen. Wir haben uns vor der Corona-Krise oft bei den Angehörigen zuhause für Trauergespräche getroffen. Nun empfangen wir sie meistens hier bei uns – und auch nur in kleinen Gruppen. Aber das hat auch etwas Gutes: Insgesamt entschleunigen wir nun mehr bei unserer Arbeit und haben dadurch mehr Zeit, uns noch gezielter kümmern zu können. Auch wenn wir immer schon Angehörige dazu ermutigt haben, sich aktiv involvieren zu lassen, indem sie den Verstorbenen ankleiden, ihn in den Sarg legen oder den Sarg gestalten. Die Reduzierung auf einen überschaubaren Kreis hat den Vorteil, dass wir uns weniger um die Betreuung einer großen Trauergemeinde sorgen müssen und dafür mehr den Einzelnen unterstützen können. Und insgesamt läuft nun eben mehr übers Telefon oder per Video-Konferenz. Aber auch fernmündlich ermutigen wir zu einer Aufbahrung des Toten zuhause und dazu, ihn in seinem privaten Umfeld zu verabschieden. Wir sind eigentlich pausenlos im Gespräch mit Angehörigen, die auch von sich aus mit ihren Fragen kommen. Dann wollen wir ihnen ein Gefühl von Sicherheit geben und Mut machen.
Denn viele Menschen scheuen zum Beispiel davor zurück, einen Toten noch einmal zu berühren. Dabei geht doch nichts Bedrohliches von ihm aus; ein Familienvater, der mit Ende 50 stirbt, ist für Kinder doch immer noch der vertraute Papa und für Enkel der geliebte Großvater. In diesen Zeiten der Verunsicherung brauchen die Menschen noch mehr Nähe und Begleitung. Und ich nehme wahr, dass gerade jetzt unsere Verbindung zu den Menschen noch einmal mehr Tiefe und Intensität bekommt.
DOMRADIO.DE: Sind unter der Maßgabe „Beerdigungen im kleinsten Kreis“ würdige Bestattungen, wie Angehörige sich das – auch für ihre Trauerarbeit – wünschen, überhaupt derzeit möglich?
Roth: Absolut. Bei einer „würdigen“ Bestattung geht es ja nicht nur um die Möglichkeit einer liturgischen Feier, die jetzt wegfällt. Würde kann auch in einer tröstlichen Begleitung zum Ausdruck kommen. Nah und tröstend Trauernden zugewandt zu sein, den Moment des Abschieds selbst ernst nehmen – das alles spielt in den Aspekt einer würdigen Bestattung mit hinein. Und das ist unabhängig von der Personenzahl. Und dann hoffen wir ja alle auch darauf, das Verbundensein mit vielen anderen Menschen, die Anteil nehmen, zu einem späteren Zeitpunkt nachholen zu können. Trotz der besonderen Umstände ist niemand gezwungen, jetzt schnell etwas tun zu müssen, außer vielleicht bei Erdbestattungen, die innerhalb einer Frist erfolgen müssen. In der Regel aber ist – wie immer – Zeit, die Dinge in Ruhe zu gestalten. Der Tod nimmt einem ja nicht alles. Es bleibt die Beziehung zum Verstorbenen, und es bleibt die lebendige Erinnerung an gemeinsame Erlebnisse und die gemeinsame Geschichte, die auch nach dem Tod noch immer da ist. Dass da mit einem Mal vieles sogar wieder hochkommt, ist ein Prozess und wertvoll für die Trauerarbeit. Alles, was vorher wichtig war, bleibt ja wichtig. Von daher ist mit dem Tod eines Menschen auch nicht alles aus. Es werden aber Rituale gebraucht, um eine Lebensgeschichte für alle Beteiligten zu einem guten Abschluss bringen zu können.
DOMRADIO.DE: Welche Reaktionen der Trauernden, die nun die große Abschiedsfeier verschieben müssen, nehmen Sie denn wahr?
Roth: Zumindest erleben wir eher selten, dass mit den momentanen Umständen gehadert wird. Stattdessen erleben wir Zuversicht, Dankbarkeit und sogar Glück im Kleinen. Die Menschen werden gerade sehr kreativ, um ihre Anteilnahme zu zeigen. Da gibt es 1000 kleine Zeichen, um zu demonstrieren: Ich denke in Deiner Trauer an Dich. Man kann zum Beispiel auch an dem Haus des Verstorbenen vorbeifahren und den Angehörigen von Weitem zuwinken. Trauer will ja auch gesehen werden. Aber klar, ein halber Staatsakt für einen Verstorbenen, der sich in Gesellschaft oder Politik verdient gemacht hat, ist zurzeit nicht möglich. Das läuft nun viel dosierter ab, bietet andererseits aber die Chance eines viel intensiveren Erlebnisses.
Wie gesagt: Wir alle erleben im Moment eine Entschleunigung und Erdung, was uns die Chance zur Besinnung auf das Grundsätzliche und Wesentliche bietet. Dabei merken wir, dass wir eigentlich mit erstaunlich wenig auskommen – auch in unserem Metier – und eine Trauerfeier kein rauschendes Fest sein muss. Eher im Gegenteil: dass uns Einfachheit und Schlichtheit den eigenen Sehnsüchten viel näher bringen. Von daher hat dieser Shutdown auch sein Gutes.
DOMRADIO.DE: Apropos Reduktion auf das Wesentliche: Ihre Räume sind sonst für bis zu 350 Menschen ausgerichtet und neben Beratungsgesprächen machen Sie in der Regel auch eine Menge Begleitangebote. Wie geht es Ihnen damit, dass Sie zurzeit diese ganze Palette an Trost nicht abrufen können?
Roth: Unsere Philosophie, Trauernde nicht zu bevormunden, sondern ihnen das zu ermöglichen, was sie zur Verarbeitung ihres Verlustes brauchen, können wir auch in Zeiten von Corona leben. Dafür sind wir rund um die Uhr erreichbar. Nicht alle unsere Veranstaltungen können wie geplant stattfinden, aber einen Teil davon können wir im Live-Stream anbieten. Selbst Trauerbegleitung ist im Video-Chat – einzeln oder in Gruppen – möglich. Rundgänge über unseren Friedhof, die „Gärten der Bestattung“, gibt es ohnehin schon virtuell. Und auch sonst können wir noch alles anbieten, was Menschen in ihrer Trauer gut tut. Nur umarmen geht eben nicht. Mit ganz viel Kreativität können wir aber trotzdem immer noch sehr persönliche Momente des Abschiednehmens möglich machen. Da sind wir noch lange nicht an der Grenze unserer Kapazitäten angekommen.
Das Interview führte Beatrice Tomasetti.