Karfreitag in Zeiten der Corona-Krise

"Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?"

Vielen sprechen die letzten Worte Jesu in diesen Wochen der Corona-Pandemie aus der Seele. Ärzte müssen Entscheidungen über Leben und Tod treffen, Alte isoliert und ohne Besuch leben.

Karfreitag / © unbekannt (DR)
Karfreitag / © unbekannt ( DR )

DOMRADIO.DE: Kommt uns der Karfreitag in diesem Jahr besonders nahe? Alte Leuten, die jetzt ganz allein im Pflegeheim sitzen und keinen Besuch mehr haben dürfen. Menschen, die schon einen Angehörigen verloren haben und sich vielleicht nicht einmal von ihm verabschieden konnten... . Wie einsam verbringen Sie und Ihre Mitschwestern den Karfreitag heute in Rüdesheim?

Schwester Philippa Rath (Benediktinerin in der Abtei St. Hildegard in Rüdesheim): Wir verbringen den Karfreitag eigentlich immer in Stille und sehr mit uns und mit Gott allein. Das heißt aber nicht, dass wir einsam sind, sondern wir begehen diesen Tag ganz bewusst in tiefem Schweigen. Wir verneigen uns vor dem Kreuz. In diesem Jahr sind wir vielleicht noch etwas mehr für uns als sonst, da die Corona-Krise alles verändert und auch unser klösterliches Leben durchkreuzt hat. Wir feiern die Karfreitagsliturgie ohne die Gäste, ohne die Menschen, die sonst gerade am Karfreitag sehr zahlreich zu uns kommen.

Das ist für uns sehr schwer. Hinter verschlossenen Türen Liturgie feiern zu müssen, ist schon eine große Herausforderung für uns. Aber wir haben einen Hausgeistlichen und sind natürlich dankbar, dass wir die Liturgie überhaupt feiern können. Wir tun dies jetzt ganz besonders stellvertretend für die vielen, vielen Menschen, die gerne dabei wären und nicht hierher kommen können.

DOMRADIO.DE: Todesangst hatte Jesus am Karfreitag. Ganz viel Angst haben auch ganz viele Menschen in diesen Tagen. Macht diese eigene Angst den Karfreitag für uns vielleicht erfahrbarer?

Schwester Philippa: Davon bin ich überzeugt. Ich glaube, dass das Kreuz Christi und die Angst, die er verspürt hat, und die auch viele, die mit ihm auf dem Kreuzweg unterwegs waren, verspürt haben, uns den Karfreitag besonders nahekommen lässt. Heute haben viele Angst vor dem Tod, vor dem Nichts, vor der Verlassenheit, dem Alleinsein, vor Leere und Sinnlosigkeit. Alle diese Ängste hat Christus auch auf seinem Kreuzweg durchlitten, bis hin zu der großen Frage nach dem "Warum?": "Warum hast du mich verlassen?" Der letzte Aufschrei Jesu am Kreuz – da kommt er uns ganz, ganz nahe.

Und ich denke, es ist richtig, was Karl Rahner einmal gesagt hat: Die Passion betrifft uns ganz persönlich. Es geht darum, den Passionsweg mit Christus mitzugehen in unserem ganz normalen, schlichten Alltag, der eben im Moment von genau diesen Gefühlen, die ich eben beschrieben habe, bestimmt ist. Insofern nehmen wir in diesem Jahr ganz besonders konkret am Schicksal Jesu teil – vielleicht ist das für viele eine ganz neue Erfahrung des Glaubens.

DOMRADIO.DE: Eine Strafe Gottes ist Corona ganz sicher nicht. Aber könnte die Pandemie vielleicht eine Chance bieten, nämlich auch die, unser Bild von Gott und der Welt, auch von der Kirche, neu zu denken?

Schwester Philippa: Ich glaube, dass uns die Passion eigentlich immer dazu aufruft, anders zu denken, als wir es normalerweise tun. Wir haben ja ein Gottesbild, das oft von unserem eigenen Wunschdenken erfüllt ist. Und das streicht ja nun Gott am Kreuz komplett durch. Ich denke, dass wir in diesem Jahr eine besondere Möglichkeit haben, das tiefer zu verstehen und damit auch unser Leiden, alle Schwere, die wir jetzt haben, alle Not, mit ans Kreuz zu heften.

DOMRADIO.DE: Liturgien können in diesem Jahr nicht wie gewohnt stattfinden. Stattdessen kommen oft Live-Streams aus menschenleeren Kirchen in die Wohnzimmer der Leute. Was bedeutet das für die Kirche?

Schwester Philippa: Ich bin für die digitalen Möglichkeiten, die wir heute haben, sehr dankbar. Ich habe viel Kontakt per Telefon, Mail, WhatsApp und ich kenne sehr viele Menschen, die diese Gottesdienste per Livestream verfolgen und die dankbar dafür sind, auf diese Weise an dem Geschehen der Karwoche und an Ostern teilnehmen zu können. Natürlich ist es eine herausfordernde Sache, vor leeren Kirchen zu sitzen. Andererseits habe ich jetzt persönlich so viele Reaktionen z.B. auf diesen wunderbaren "Urbi et Orbi"-Segen des Heiligen Vaters in Rom auf dem leeren Kirchplatz bekommen – das hat die Menschen zutiefst beeindruckt und bewegt.

Insofern glaube ich, dass da trotz der Entfernung eine ganz neue Nähe zu Gott, zum Glauben und zur Kirche entstehen kann. Es darf nur nicht zu lange dauern, sonst befürchte ich, dass die Menschen sich zu sehr an diese Art der Gottesdienste gewöhnen. Normalerweise ist ja die Gemeinde, das Zusammenkommen, das gemeinsame Feiern das Entscheidende. Aber in diesen Notzeiten sind die digitalen Gottesdienste eine wunderbare Sache.

DOMRADIO.DE: Was für Gedanken nehmen Sie persönlich gleich mit, wenn Sie quasi unter Ausschluss der Gläubigen, aber doch immerhin mit ihren Mitschwestern die Liturgie vom Leiden und Sterben Jesu begehen?

Schwester Philippa: Ich versuche nach meinen Möglichkeiten das Leiden derer, was mir jetzt über die Medien entgegenkommt, der vielen, vielen Kranken, der Sterbenden, der Ärzte, der Pflegenden, aller, die das öffentliche Leben aufrechterhalten, mitzunehmen, mit zu Gott zu nehmen, mit ans Kreuz zu heften und auch durch das Kreuz hindurch schon ein wenig Licht und Hoffnung der Auferstehung zu spüren. Der Karfreitag ist ja auch bereits ein Stück Durchgang zum neuen Leben.

Ich wünsche mir, dass wir jetzt, gerade in diesen Tagen, auch die Hoffnungszeichen sehen. Gott lässt uns nicht allein. Er geht mit uns ans Kreuz, aber er führt uns durch das Kreuz auch hindurch zur Auferstehung.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Sr. Philippa Rath (SW)
Sr. Philippa Rath / ( SW )
Quelle:
DR