Helga Jüngling rechnet nicht damit, zu überleben, sollte sie das Coronavirus bekommen. "Ich bin alt", sagt sie. "Das schafft mein Immunsystem nicht mehr." Die 87-Jährige wohnt seit einem Jahr in einem Pflegeheim in der Trierer Innenstadt. Zu Fuß kann sie in fünf Minuten die Fußgängerzone oder das Moselufer erreichen. Normalerweise. Doch jetzt ist nichts normal.
450 Senioren – versorgt von 500 Mitarbeitern
Die Stiftung Vereinigte Hospitien unterhält auf dem weitläufigen Parkgelände unter anderem zwei Altenheime, ein Haus für betreutes Wohnen und ein Wohnheim für Geistliche im Ruhestand. Rund 450 Senioren leben hier, darunter elf Ruhestandspriester, versorgt von 500 Mitarbeitern.
Die Corona-Krise hat die rund 14.500 Pflegeheime in Deutschland in eine schwierige Lage versetzt. Zahlreiche Todesfälle in verschiedenen Heimen führen vor Augen, wie anfällig die Einrichtungen für den Erreger sind. In Trier will man ähnliche Szenarien unbedingt vermeiden. Noch habe das Haus keinen Corona-Fall und tue alles, um die Bewohner zu schützen, sagt Stiftungsdirektorin Yvonne Russell.
Die Heime versuchen einen Spagat: die Bewohner bestmöglich vor Risiken zu schützen - ohne dass sie vereinsamen. Bundesweit gelten weitreichende Besuchsverbote für Angehörige oder Freunde. In Baden-Württemberg dürfen Senioren Einrichtungen nur noch in gut begründeten Einzelfällen verlassen. Das Saarland überlegt, alle Bewohner und Mitarbeiter von Heimen auf Covid-19 zu testen.
Gemeinschaftsangebote ausgesetzt
Auch die Vereinigten Hospitien haben ihre Vorsichtsmaßnahmen verstärkt: Mahlzeiten erhalten die Bewohner auf dem Zimmer, Gemeinschaftsangebote sind ausgesetzt. Das Personal arbeitet in getrennten Gruppen. Der Gedanke dahinter: Sollte ein Corona-Fall auftreten, würde so der Betrieb nicht zusammenbrechen.
Denn das größte Einfalltor für das Virus - und zugleich unverzichtbar - sind die Pflegekräfte. "Dieses Wissen belastet", sagt Pflegedienstleitung Sylvia Heinze. Alle Mitarbeiter tragen inzwischen Mundschutz und achten strikt auf die Abstandsregeln. Einem Bewohner habe der ungewohnte Anblick des ansonsten vertrauten Personals zunächst Angst gemacht. Um Vertrauen aufzubauen, werde deshalb viel über die Vorsichts- und Hygieneregeln gesprochen.
Eine zusätzliche Herausforderung stellen Senioren mit Demenz dar. Sie verstehen oft nicht, warum sie allein auf dem Zimmer bleiben sollen. Sie gelte es zu beschäftigen, sagt Heimleiterin Birgit Alt-Resch. Mit Begleitung hielten sie sich in den Gemeinschaftsbereichen auf oder könnten im Park spazieren. Zwischen den Wohnhäusern führen Wege entlang der Wiesen und Blumengärten, dazwischen Sitzgruppen und hier und da eine Heiligenfigur.
Tägliche Übertragung der heiligen Messe
Wem das zu riskant ist, der bleibt auf seinem Zimmer. Ihr mache das schon etwas aus, sagt Seniorin Jüngling. "Je länger das dauert, desto schwieriger wird es." Normalerweise treffe sie Familie oder Freunde, gehe einkaufen oder spiele Bingo mit anderen. Jetzt lese sie viel. "Man muss schauen, wie man sich beschäftigt."
Dazu hat die Stiftung kurzfristig kreative Angebote auf die Beine gestellt. Etwa Konzerte im Park oder ein eigenes Fernsehprogramm, das vertraute Orte und Akteure aus dem Haus zeigt: Es reicht von Rätseln über Vorlesen zu Gymnastik und wird aus der stiftungseigenen Kirche gesendet. Darin feiert täglich ein Ruhestandspriester die Messe, die ebenfalls übertragen wird.
Zusätzlich wurde online eine "Brief- und Telefonbrücke" initiiert, bei der bislang 56 Telefon-Partnerschaften von Menschen außerhalb zu Bewohnern organisiert werden konnten. Andere gestalten für die Senioren Grüße in Form von Briefen, Karten oder Bildern - unabhängig davon, ob sie jemanden im Heim kennen oder nicht.
Die Bewohner zeigten viel Verständnis für die Situation, sagt Alt-Resch. Dennoch schwanke hier und da die Stimmung. "Ihnen fehlt der Freiraum und der persönliche Kontakt zu Angehörigen" - auch wenn das Personal versuche, das abzufedern und Bewohnern mit neuen Tablets Videoanrufe zu Angehörigen ermögliche.
Bei aller Vorsicht bleibt Ungewissheit. Denn mit Sicherheit kann ein Corona-Fall nirgends verhindert werden. Jüngling denkt deshalb lieber an später, wenn "die Sache" vorbei ist, "die Welt wieder ganz anders aussieht".