Der Rechtsstreit um ein temporäres Abtreibungsverbot in Texas breitet sich vor den Gerichten so schnell aus wie das Virus, auf das sich Gouverneur Greg Abbott beruft. Binnen Tagen eskalierte die juristische Auseinandersetzung, bis der Fall vor dem Osterfest beim Supreme Court in Washington ankam.
Medikamentös eingeleitete Abbrüche weiter erlaubt
Bevor das US-Verfassungsgericht reagierte, intervenierte das für Texas zuständige Bundesberufungsgericht und schränkte das vom Gouverneur erlassene umfassende Abtreibungsverbot während der Corona-Krise ein. Demnach müssen medikamentös eingeleitete Schwangerschaftsabbrüche von dem Verbot ausgenommen werden. Chirurgische Abtreibungen bleiben dem Urteil zufolge dagegen weiter untersagt.
Ausgangspunkt des Rechtsstreits ist eine Verordnung Abbotts, die Abtreibungen mit der Begründung verbietet, alle medizinischen Ressourcen im Gesundheitswesen müssten in der Corona-Krise für Infizierte zur Verfügung stehen.
Kein Einzelfall
Texas ist kein Einzelfall, sondern bloß der Vorreiter einer Reihe von republikanisch regierten Bundesstaaten, die ähnlich lautende Abtreibungsverbote erließen. Dazu gehören Ohio, Iowa, Alabama, Indiana und Oklahoma - allesamt Bundesstaaten, die in den letzten beiden Jahren sogenannte "Herzschlag"-Gesetze verabschiedet hatten. Diese verbieten Abtreibungen ab dem Zeitpunkt, zu dem Herztöne messbar sind.
Die Abtreibungsverbote zielen darauf ab, das oberste Verfassungsgericht zu einer erneuten Prüfung des Grundsatzurteils "Roe vs. Wade" zu bewegen. Dieses hatte Schwangerschaftsabbrüche 1973 zur Privatangelegenheit erklärt.
In den Begründungen für die Abtreibungsverbote argumentieren die Bundesstaaten mit den medizinischen Ressourcen, die zur Behandlung von Corona-Infizierten dringend benötigt würden. Es geht vor allem um Krankenhausbetten, die für COVID-19-Patienten freigehalten werden müssten, und um Schutzkleidungen.
Die persönliche Schutzausrüstung für die medizinischen Fachkräfte habe Vorrang, erklärte der texanische Generalstaatsanwalt Ken Paxton. Es werde keine "pauschalen Ausnahmeregelungen" für Abtreibungskliniken geben, pflichtete ihm sein Amtskollege aus Alabama, Steve Marshall, bei.
Beifall erhalten Texas und die anderen Bundesstaaten von der Pro-Life-Bewegung. In einer Zeit, in der Ärzte und Pflegekräfte im Kampf gegen das Virus ihr eigenes Leben riskierten, fordere "die Abtreibungsindustrie eine besondere Behandlung", empörte sich die Präsidentin der Susan Anthony List, Marjorie Dannenfelser.
Missbrauch des Notstandsrecht
Das sehen die Befürworter des Rechts auf Abtreibung ganz anders. Planned Parenthood, die American Civil Liberties Union und das Center for Reproductive Rights halten den Gouverneuren vor, die Pandemie zu nutzen, um die in "Roe v. Wade" bekräftigten Rechte auszuhebeln. Texas missbrauche in eklatanter Weise das Notstandsrecht.
Der Direktor der Forschungsgruppe für reproduktive Gesundheit der Universität San Francisco, Dan Grossmann, widersprach der Behauptung, Schwangerschaftsabbrüche gefährdeten die medizinischen Ressourcen in der Pandemie. Für chirurgische Abtreibungen seien zwei Paar Handschuhe und eine wiederverwendbare Gesichtsmaske erforderlich.
Eine Entscheidung in der Rechtsstreitigkeit sei dringlich, argumentieren die Kläger, da in den betroffenen Bundesstaaten Abbrüche nach der 20. Schwangerschaftswoche strafbar sind. Wenn die temporären Verbote über einen längeren Zeitraum gelten, könnten Frauen daran gehindert sein, ihre Schwangerschaft legal zu beenden.
Ob sich der Supreme Court kurzfristig mit dem Thema befassen wird, gilt unter Experten nach der Intervention des Berufungsgerichts vom Montag als eher unwahrscheinlich. Zumal sich auch in den anderen Bundesstaaten die Gerichte bislang gegen die Abtreibungsverbote aussprachen haben.