Über die Terrormiliz Boko Haram wird in Nigeria seit Wochen kaum noch gesprochen. Dabei wurden bei Angriffen der Gruppe laut Zählung der privaten US-Denkfabrik Council on Foreign Relations (CFR) allein seit Jahresbeginn 163 Zivilisten und 318 Sicherheitskräfte getötet. Dazu gehört der schwere Anschlag gegen die tschadische Armee Ende März, bei dem 98 Soldaten starben: die größte Niederlage in der Geschichte der Streitkräfte. Dabei gilt sie als effektivste der Region. Eine Woche später begann sie mit einer Großoffensive gegen die Gruppe.
Boko Haram sucht mediale Aufmerksamkeit
Damit habe Boko Haram zumindest für einen kurzen Moment das mediale Interesse erhalten, das aktuell die Corona-Krise erhält, sagt Hussaini Abdu, Landesdirektor von Plan International in Nigerias Hauptstadt Abuja und Experte für den Nordosten. "Die Terrorgruppe braucht Aufmerksamkeit wie die Luft zum Atmen."
In der derzeitigen Krise - Nigeria zählt 665 bestätigte Covid-19-Fälle; in Lagos, Abuja und Kano herrschen unter anderem Ausgangssperren - fehlt ihr das. Das kann auch der Grund dafür sein, weshalb sich Anführer Abubakar Shekau in der vergangenen Woche mit einer langen Audio-Botschaft zu Wort meldete. Laut der Übersetzung nigerianischer Journalisten verspottete er unter anderen Donald Trump und Nigers Präsidenten Mahamadou Issoufou als Ungläubige. Auch machte er sich über Anti-Corona-Maßnahmen wie die Schließung von Moscheen und das Verbot von Mekka-Reisen lustig und behauptete, in ihrem Versteck - dem Sambisa-Wald - könnten sich die Mitglieder nicht infizieren.
Suche nach neuen Rückzugsorten
Meist völlig unbemerkt blieben kleinere Überfälle der Terroristen. Um zu überleben und sich zu versorgen, plündern sie Dörfer auf der Suche nach Lebensmitteln, Medikamenten und Benzin. Je mehr Militäroperationen es gibt, desto stärker könnten diese Angriffe werden. "Boko Haram ist in Bewegung und auf der Suche nach neuen Rückzugsorten", so Hussaini Abdu.
Mehr Binnenflüchtlinge
Das könnte wiederum die Zahl der Binnenflüchtlinge steigen lassen. Nach Zählung der Internationalen Organisation für Migration IOM und der staatlichen Nothilfeagentur NEMA waren Ende Februar knapp 2,6 Millionen Nigerianer in ihrem Heimatland auf der Flucht. Rund um den Tschadsee sind es mehr als 3,2 Millionen. Nigerianische Camps für Binnenflüchtlinge haben in den ersten drei Monaten weit mehr Neuankünfte (26.750) verzeichnet als Menschen, die zurück in ihre Heimatorte gehen konnten (7.659).
Sorge wegen Coronavirus-Pandemie
In Maiduguri, Hauptstadt des Bundesstaates Borno, sorgt sich Bischof Oliver Dashe Doeme deshalb aktuell vor allem um die Lage in den vollen Flüchtlingscamps. Ohnehin ist die Versorgung dort schwierig. Nachdem das Zentrum für Seuchenbekämpfung NCDC nun aber für Borno drei Covid-19-Fälle bestätigt hat, kommt eine weitere Sorge hinzu. Bricht das Virus in einem der Lager oder einer Gastgemeinde aus - viele Binnenflüchtlinge sind privat untergebracht -, könnte das katastrophal enden.
Wer in entlegenen Gebieten auf sich allein gestellt ist, ist schon wegen der Sicherheitslage kaum von Hilfsorganisationen erreichbar. "Gemeinsam mit unseren Partnern müssen wir alles tun, dass sich das Virus nicht ausbreitet", sagte der Bischof. Gottesdienste gibt es schon lange nicht mehr in Borno und vor allem nicht in der Hauptstadt. In Teilen der angrenzenden Bundesstaaten Adamawa und Yobe träfen sich Gläubige in kleinem Kreis und mit Sicherheitsabstand weiter zu Gebeten.