DOMRADIO.DE: Herr Röttgen, wollen Sie immer noch CDU-Vorsitzender werden?
Norbert Röttgen (CDU, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages): Ja, das möchte ich. An meiner Motivation hat sich nichts geändert, ich glaube sogar, es ist so, dass die Krisen, über die ich schon vorher gesprochen habe, durch die Pandemie eine enorme Beschleunigung bekommen haben. Aber natürlich haben wir jetzt eine ganz andere Priorität und darum gibt es aktuell dieses Thema nicht und schon gar keinen Wahlkampf innerhalb der CDU.
DOMRADIO.DE: Das wäre meine nächste Frage gewesen. Politische Willensbildung und parteiinterner Wahlkampf in Zeiten von Corona - wie funktioniert das?
Röttgen: Das sind gewissermaßen zwei Fragen. Es gibt selbstverständlich eine neue Priorität. Es geht jetzt um Leben und Tod, um Gesundheit, auch um eine wirtschaftliche Rezession, das heißt um Verlust von Arbeitsplätzen, um das Verschwinden von Unternehmen in Deutschland, in Europa und weltweit. Das eine völlig neue Priorität.
Demgegenüber müssen manche Fragen natürlich völlig zurückstehen und kommen gar nicht mehr vor. Zum Beispiel ein Parteitag der CDU, um Personal zu wählen. Aber natürlich, kann es nicht dauerhaft so gehen. Man hat dann immer eine Anpassungsphase, wo alles anders wird. Natürlich kann und darf es nicht heißen, dass demokratische Willensbildung nicht mehr stattfindeen und wir jetzt nur noch Exekutive ohne Kontrolle haben. Das hat es in Deutschland auch so nie gegeben, sondern der Bundestag hat unter besonderen Bedingungen getagt.
Aber natürlich ist es etwas anderes, ob ich eine Gremiensitzungen als Telefonkonferenz oder Videokonferenz mache oder ob physische Anwesenheit da ist. Und das müssen wir jetzt weiter anpassen. Wir sind eben in einem Anpassungsprozess fundamentaler Art. Aber auch wie wir - nicht ob wir - aber wie wir Demokratie praktizieren, das muss angepasst werden.
DOMRADIO.DE: Ihre Mitbewerber um den CDU-Vorsitz - das Politiker-Gespann Armin Laschet und Jens Spahn - können sich ja zur Zeit viel besser profilieren, nämlich als Krisenmanager - machen Sie da die Faust in der Tasche?
Röttgen: Nein, keine Spur. Weil das ist die Aufgabe von denjenigen, die Ämter haben. Und die haben jetzt eine Verantwortung, eine schwere Verantwortung. Die nehmen sie wahr und das ist das Allerwichtigste. Und ich finde, dass es bislang - wir müssen aufpassen, wir dürfen uns nicht in falscher Sicherheit wiegen - nach den ersten beachtlichen Erfolgen gut gemacht worden ist, und ich glaube, so sollte es auch weitergemacht werden.
DOMRADIO.DE: Herr Röttgen, als den wichtigsten Außenpolitiker der Union frage ich Sie: Warum ist Corona ein Überlebenstest für die Europäische Union?
Röttgen: Weil wir zwar alle von dem Virus gleich betroffen sind - das Virus unterscheidet ja nicht nach Menschen, nach Nationen. Es unterscheidet nach der gesundheitlichen Situation von Menschen und Vorerkrankungen und Alter, aber nicht nach Nationalitäten. Wir sind also alle irgendwie gleich geworden durch dieses Virus und diese Krise.
Aber die wirtschaftlichen Folgen, die Fähigkeiten von Ländern, darauf zu antworten, sind unterschiedlich, weil die wirtschaftliche Lage vorher anders war. Italien kann mit einer Staatsverschuldung von 135 Prozent im letzten Jahr gemessen an der Wirtschaftsleistung sich nicht dasselbe leisten, wie wir das können. Wir hatten nur 60 Prozent Staatsverschuldung gemessen an der Wirtschaftsleistung.
Und darum ist die Fähigkeit, Widerstand gegen dieses Virus zu leisten, oder die Fähigkeit der Staaten in Europa, seine Bürger zu schützen, unterschiedlich. Ein Europa, in dem sich Unterschiede, Gräben immer weiter vertiefen, wird nicht lange Bestand haben. Und darum ist das die Stunde der Solidarität. Das war immer das Bauprinzip der europäischen Integration. Davon haben wir enorm profitiert. Wir sind jetzt die wirtschaftlich Stärkeren, und darum ist es unsere Aufgabe, unsere Verantwortung und unser Selbstinteresse, den Schwächeren zu helfen.
DOMRADIO.DE: Also brauchen wir Corona-Bonds.
Röttgen: Es ist die Frage: Wie tun wir das? Das war ein Fehler der Diskussion, dass man die eigentliche Frage der Solidarität gar nicht so thematisiert hat. Man hat sich auf ein Instrument fokussiert, über das man seit Jahren keine Einigkeit erzielen konnte. Das könnte auch so bleiben, aber es hat sich inzwischen ja weiterentwickelt.
Auch der italienische Ministerpräsident hat gesagt, es geht mir jetzt nicht mehr um dieses Instrument allein, sondern wir müssen einen Weg finden, um zum Ziel der Solidarität zu kommen. Es ist bei dem letzten virtuellen Treffen diese Woche der Regierungs- und Staatschefs verabredet worden, einen europäischen Wiederaufbau-Fonds einzurichten, und ich glaube, das ist wegweisend.
DOMRADIO.DE: Europäische Solidarität auf der einen Seite. Aber andererseits stellt sich ja auch die Frage, wie umgehen mit Staats- und Regierungschefs, die die Corona-Pandemie dafür nutzen, demokratische Prinzipien in ihren Ländern auszuhebeln? Ich blicke da beispielsweise nach Ungarn.
Röttgen: Wer diese Pandemie, die schon schlimm genug ist, missbraucht, um für sich selber undemokratisch und rechtsstaatswidrig nach Macht zu greifen, ist mit den Grundsätzen, den Werten der Europäischen Union völlig unvereinbar. Übrigens auch mit denen der CDU und der europäischen Parteienfamilie EVP. Und das muss klar ausgesprochen werden. Und im ersten Moment, wo man wieder zusammenkommen kann, muss es dann auch Konsequenzen geben.
Das Interview führte Moritz Dege