Er war ein Enfant terrible, ein Moralist und ein "Störenfried", wie auch eine Biografie über ihn betitelt ist. Ohne ihn ist die Nachkriegsgeschichte des deutschen Theaters nicht denkbar. Mit scharfem, auch eiferndem Ton hat der Dramatiker Rolf Hochhuth die moralische Verantwortung des Einzelnen und insbesondere der Mächtigen für ihre Taten eingefordert und Politik auf die Bühne gebracht.
Die Herrschenden, so schrieb er, hätten meist ein reines Gewissen; rein - weil nie benutzt. Kritiker warfen ihm vor, seine mit aufklärerischem Furor geschriebenen Theaterstücke seien von einer Holzhammer-Eindeutigkeit geprägt; seine Figuren seien lediglich Träger von Thesen und Textvermittlungsmarionetten. Am Mittwoch ist Hochhuth im Alter von 89 Jahren in Berlin gestorben, wie sein Herausgeber Gert Ueding am Donnerstag mitteilte.
"Der Stellvertreter" über Papst Pius XII. löste heftige Debatten aus
Im hessischen Eschwege als Sohn eines Schuhfabrikanten geboren, Verlagslektor im Bertelsmann Lesering, seit 1963 freier Autor: Zu spüren bekommen hat seinen Rigorismus als erste die katholische Kirche. Galt sie bis Anfang der 60er Jahre noch als eine der wenigen Institutionen, die aus der NS-Zeit halbwegs heil hervorgegangen war, so brachte Hochhuths erstes Schauspiel "Der Stellvertreter" die Kehrtwende: Sein 1963 erschienenes Debut löste heftige Debatten darüber aus, ob sich Papst Pius XII. durch Schweigen an der Ermordung von Millionen Juden mitschuldig gemacht habe.
Das von Erwin Piscator im Februar 1963 in West-Berlin auf die Bühne gebrachte Stück löste die bis dahin größte Theaterdebatte der Bundesrepublik aus. Auch international sorgte Hochhuths Erstling für großes Aufsehen; es gab auch der Forschung über Kirche und Nationalsozialismus eine andere Richtung. Mehrfach betonte der Protestant Hochhuth, das Stück sei nicht gegen den Katholizismus gerichtet. "Es ist sogar gewidmet zwei katholischen Märtyrern im Kampf gegen den Nazismus: Maximilian Kolbe und Edith Stein", betonte er.
"Eine Liebe in Deutschland" führte zum Rücktritt eines Ministerpräsidenten
Eine politische Bombe warf der Autor auch mit seiner 1978 veröffentlichten Erzählung "Eine Liebe in Deutschland" über die Liebe einer deutschen Gemüsefrau und eines polnischen Kriegsgefangenen sowie mit seinen Recherchen zum Stück "Juristen" (1979) über frühere Nazirichter. Sie führten zum Rücktritt des baden-württembergischen Ministerpräsidenten und ehemaligen Marine-Richters Hans Filbinger (CDU), dem Hochhuth vorwarf, noch kurz nach Kriegsende "einen deutschen Matrosen mit Nazi-Gesetzen verfolgt" zu haben.
Auch mit sozialkritischen Stücken eckte Hochhuth, der als ein Hauptvertreter des Dokumentartheaters in Deutschland gilt, an: Als "ganz kleiner Pinscher" gehörte er in den 60er Jahren zu den von Bundeskanzler Ludwig Erhard beschimpften Schriftstellern, die sich in die sozialen Auseinandersetzungen einmischten.
Bis zuletzt kritisierte er den "Raubtierkapitalismus" in Deutschland
Aufsehen erregte der Dramatiker auch mit seinem Treuhand-Stück "Wessis in Weimar" (1993) und mit dem Stück "McKinsey kommt" (2004), in denen er die Wirtschaftsbosse auf die Anklagebank setzte. Bis zuletzt kritisierte er den "Raubtierkapitalismus" in der Bundesrepublik; die Demokratie sei zum "Parlamentsgequatsche" abgesunken.
Kritiker warfen Hochhuth vor, nachlassender öffentlicher Aufmerksamkeit durch Skandale begegnen zu wollen. Das allerdings gelang immer weniger. Stattdessen kam er durch Querelen in die Schlagzeilen: 2005 bezeichnete er in der rechts-nationalen Wochenzeitung "Junge Freiheit" den britischen Holocaust-Leugner David Irving als einen "fabelhaften Pionier der Zeitgeschichte". Später distanzierte sich der Dramatiker von seinem Urteil: Er habe allein "vom jungen Irving" geredet, der einen Bestseller über die Vernichtung Dresdens geschrieben habe.
2012 reagierte Hochhuth in der Berliner Akademie der Künste auf eine Diskussion über das Gedicht "Was gesagt werden muss" von Günter Grass mit den Worten: "Ich weigere mich, zwischen Antisemiten zu sitzen". Grass hatte sich kritisch mit der Politik Israels auseinander gesetzt.
Sein Antrieb: Wer schreibe, lebe länger
In seinem im Sommer 2017 erschienenen Aphorismen- und Notizband "Eiffelturm Titanic Mondlandung Mindestrente" deutete der Autor an, was ihn bis zuletzt antrieb: Wer schreibe oder anders aktiv bleibe, lebe länger. "Nur mach nicht nichts. Das lockt den Tod an."
Von Christoph Arens