Katholische und evangelische Christen teilen sich dieselbe Kirche? Vielerorts noch undenkbar. Angesichts sinkender Mitgliederzahlen der Religionsgemeinschaften wird jedoch immer häufiger über sogenannte ökumenische Gemeinden nachgedacht. Kürzlich sprachen sich etwa Hannovers evangelischer Landesbischof Ralf Meister und sein katholischer Amtsbruder Heiner Wilmer in Hildesheim für eine solche Zusammenarbeit aus.
In Kiel ist dieses Modell längst Realität. Im Stadtteil Mettenhof teilen sich seit 40 Jahren katholische und evangelische Christen Kirche und Gemeindehaus. Gruppen wie Kirchenchor, Seniorenkreis und Flüchtlingstreff werden im Birgitta-Thomas-Haus gemeinsam angeboten; ein Kirchenmusiker und ein Hausmeister sind Angestellte beider Seiten.
Echte Pionier-Arbeit
"Im täglichen Miteinander gibt es bei uns gar keinen Unterschied mehr zwischen evangelisch und katholisch", sagt Melanie Vollstedt (35) vom Kirchengemeinderat der evangelischen Thomas-Gemeinde. Gelegentlich verirrten sich Katholiken in das Büro der evangelischen Gemeinde und umgekehrt, erzählt Gabriele Pieper (50) aus dem katholischen Gemeindeteam von Sankt Birgitta. Manchmal stelle sich dann erst am Ende eines Gesprächs heraus, dass sie eigentlich eine Tür weiter gemusst hätten.
Was heute fast selbstverständlich erscheint, war anfangs Pionier-Arbeit. Als Mettenhof in den 70er-Jahren eine Kirche brauchte, entschieden sich Katholiken und Protestanten für ein gemeinsames Projekt. "Wir waren schon immer ein multikultureller Stadtteil. Das passte einfach hierher", so Vollstedt. Bei den jeweiligen Kirchenleitungen stießen die Kieler zunächst auf wenig Begeisterung. "Es war viel Überzeugungsarbeit nötig", sagt Pieper. Schließlich wurde am 25. Mai 1980, einem Pfingstsonntag, das gemeinsame Birgitta-Thomas-Haus eingeweiht.
Kein gemeinsames Abendmahl
Beim Unterhalt von Grundstück und Gebäude ist jede der beiden Seiten für bestimmte Bereiche zuständig, was auch gewisse Probleme mit sich bringt. Pieper: "Wenn eine Glühbirne durchbrennt, müssen wir dann erstmal klären, ob das nun eine katholische oder eine evangelische Lampe war."
Am deutlichsten sichtbar wird der Unterschied zwischen katholisch und evangelisch bei den Gottesdiensten. Nur zu besonderen Anlässen gibt es ökumenische Feiern, etwa bei Neujahrsempfang und Stadtteilfest sowie zu Pfingsten. Auf ein gemeinsames Abendmahl wird aber verzichtet. Die katholische Kirche und die evangelischen Landeskirchen haben unterschiedliche theologische Auffassungen darüber, was das Wesentliche bei Eucharistie und Abendmahl ist.
"Einen guten Weg gefunden"
"Diese Frage hat uns schon einen Pfarrer gekostet", so Pieper. Vor vielen Jahren hätten beide Gemeinden geplant, an einem Buß- und Bettag in einem ökumenischen Gottesdienst zuerst das Abendmahl und dann die Eucharistie nacheinander zu feiern. Nach der Beschwerde eines Gemeindemitglieds beim Erzbistum Hamburg wurde die Feier verboten. Der damalige katholische Pfarrer legte daraufhin sein Amt nieder. "Inzwischen haben wir einen guten Weg gefunden, Gottesdienste unter Ausschluss dieser strittigen Fragen miteinander zu feiern", erklärt Vollstedt.
In vielen anderen Punkten wachsen beide Seiten immer näher zusammen. Aktuell überlege man, ökumenische Gottesdienste mit nur noch einem entweder katholischen oder evangelischen Geistlichen zu feiern, sagt Pieper. "Das wäre früher undenkbar gewesen, ist aber jetzt als Reaktion auf den kirchlichen Personalmangel notwendig."
"Einzigartiges ökumenisches Zeichen"
Hamburgs heutiger katholischer Erzbischof Stefan Heße bezeichnet die Kieler Einrichtung als einen "Leuchtturm der Ökumene". Ähnliche Projekte könnten von den Erfahrungen dort profitieren, sagt er auf Anfrage. Schleswigs evangelischer Regionalbischof Gothart Magaard hebt hervor: "Bis heute ist dieses ökumenische Zentrum hier im Norden einzigartig". In Zeiten, in denen genau überlegt wird, wie viele kirchliche Gebäude erhalten werden können, würden ökumenische Zentren neue Aktualität gewinnen und vielfältige Chancen bergen.
Das 40-jährige Bestehen des Birgitta-Thomas-Hauses wird in der Pfingstwoche mit verschiedenen Aktionen gefeiert - wegen der Corona-Pandemie nur mit abgespecktem Programm, aber selbstverständlich ökumenisch.