Ein gutes Jahr ist es her, dass der Papst die wirkmächtigste kirchliche Stimme aus dem Krisenland Nicaragua abgezogen hat. Seither lebt Managuas Weihbischof Silvio Baez, einer der profiliertesten Kritiker des sandinistischen Regimes, im Exil.
Nach dem Willen von Franziskus soll er zum eigenen Schutz "einige Zeit" in Rom verbringen. Die Entscheidung habe sein "Herz weinen lassen", sagte Baez damals. "Im Geiste des Gehorsams" verließ er seine mittelamerikanische Heimat Ende April 2019 in Richtung Italien.
Blutiger Kampf um Menschenrechte
Längst nicht alle hielten den Entschluss das Papstes für richtig. Nicaraguas Opposition sah im Abzug von Baez einen "herben Rückschlag" im blutigen Kampf um die Menschenrechte. Andere signalisierten angesichts wiederholter Morddrohungen gegen den Kirchenmann Verständnis. Der sozialistische Machthaber Daniel Ortega sowie dessen Ehefrau und Vizepräsidentin Rosario Murillo waren indes froh, den unliebsamen Dissidenten los zu sein.
Doch wer dachte, der wortgewaltige Geistliche würde im Exil verstummen, sah sich rasch eines Besseren belehrt. Virtuos nutzt Baez die Sozialen Netzwerke, um die unablässigen Verbrechen des Regimes anzuprangern. "Es ist wichtig, dass wir uns in Nicaragua nicht an eine erzwungene Normalität aus Leid, Schmerz und Tod gewöhnen", schrieb er am Montag. Auf Twitter hat das Mitglied der Unbeschuhten Karmeliten inzwischen mehr als 170.000 Follower, auf Facebook sind es rund eine Viertelmillion. Beeindruckende Zahlen für einen Weihbischof.
In Rom war Baez bisher kaum
In der Corona-Krise hat der 62-Jährige seine Aktivitäten noch einmal verstärkt. Täglich postet und predigt er von Miami aus über sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Kanäle. Medien-Anfragen sind stets willkommen. Ein Video-Chat? Kein Problem. In Rom, wie vom Papst vorgesehen, war Baez bisher kaum. Er sei viel gereist, habe Vorträge gehalten - in den USA, Irland, Spanien, Lateinamerika. Dann, während eines Besuchs bei Angehörigen in Florida Anfang März, legte das Virus den internationalen Luftverkehr lahm. Der US-Bundesstaat wurde zum neuen vorübergehenden Stützpunkt. Dem Bischof kommt das nicht ungelegen, schließlich ist Miami viel näher an Managua als Rom.
Dass seine Familie in den Vereinigten Staaten lebt, erklärt sicher auch, wie der Ordensmann zu einem Symbol des Widerstands gegen Ortega und die "Sandinistische Befreiungsfront" werden konnte. Repressionen gegen Verwandte muss er nicht fürchten. Weil sie mit den Segnungen des tropischen Sozialismus nicht zurande kamen, flohen sie - wie viele andere "Nicas" - schon vor Jahren in die USA.
Auf das eigene Wohlergehen nimmt Baez wenig Rücksicht. Die Regierung Nicaraguas bezeichnet er unverhohlen als das, was sie ist: eine unterdrückerische Diktatur, deren Korruptheit allenfalls von ihrer Inkompetenz übertroffen wird. Als aktuelles Beispiel nennt er den "desaströsen" Umgang mit der Corona-Pandemie. Statt die Menschen zu schützen, werde das Virus konsequent kleingeredet. Weil sogar Großveranstaltungen ungehindert stattfinden könnten, steige die Infektionsrate exponentiell an - für Baez ein weiterer Beweis für die "völlige Ignoranz" des Ortega-Clans.
Regimekritiker erleiden "tragische Verkehrsunfälle"
Derlei Äußerungen sind in dem bitterarmen Land nicht ungefährlich. Immer wieder erleiden Regimekritiker "tragische Verkehrsunfälle", mysteriöse Herzattacken oder sie verschwinden plötzlich - und tauchen nie wieder auf. Ernsthafte Untersuchungen solcher Fälle gibt es ebenso wenig wie eine unabhängige Justiz. Der aus Argentinien stammende Papst weiß das freilich und nimmt die Drohungen gegen Baez entsprechend ernst. "Ich will keinen neuen Märtyrer-Bischof in Lateinamerika", habe ihm Franziskus jüngst bei einem Treffen gesagt.
So gesehen ist das verordnete Exil durchaus nachvollziehbar. Seit 2018 die landesweiten Proteste gegen die Regierung begannen, zählt Managuas Weihbischof zu den Anführern der Bewegung. Bedrohten Studenten gewährte er in seiner Kirche Schutz. Als ihn regierungsnahe Schläger verprügelten, wurden seine Worte nicht milder, sondern nur noch unerbittlicher. Einige Beobachter werfen ihm vor, mit seiner undiplomatischen Haltung einer Verhandlungslösung im Wege zu stehen.
Aber Menschenrechte sind für Baez nicht verhandelbar. Er will nicht darüber schweigen, dass es seit Beginn der Unruhen in Nicaragua mehr als 400 Tote und Tausende Vermisste zu beklagen gibt. Tag für Tag würden Regierungsgegner in Ortegas Folterknästen misshandelt, während die internationale Gemeinschaft weitgehend tatenlos zusehe. "Die Kirche muss sich mit ihrer prophetischen Kraft für die Befreiung der Menschen einsetzen", fordert der Karmelit. Dafür werde er weiter kämpfen - von wo aus auch immer.