KNA: Das sogenannte HöVi-Land in Köln ist eines der bundesweit größten Ferienangebote für benachteiligte Kinder. Coronabedingt wird es im Jahr 2020 zum "HöVi-Dorf" mit weniger Teilnehmern und mehr Abstand. Pfarrer Meurer, das Land Nordrhein-Westfalen erlaubt Ferienfreizeiten unter Auflagen. Hövi-Land wird deshalb in diesem Jahr nur in abgespeckter Form stattfinden.
Pfarrer Franz Meurer (Kölner Sozialpfarrer und Initiator der HöVi-Land-Freizeiten): Ja, wir halten uns bei allem genau an die Vorschriften. Jedes Kind kann leider nur eine Woche teilnehmen, und wir müssen die Anzahl beschränken. Das ist ganz traurig.
KNA: Wieso haben sie die Aktion nicht einfach abgesagt?
Meurer: Nein! Es ist jetzt das Wichtigste, dass man Eifer zeigt. Wir haben zum Beispiel den Kommunionkindern schon jeweils fünf Pakete geschickt. Wir schreiben jede Woche rund 900 Leuten per Post einen Brief. Viele bei uns haben gar kein Internet, wenn sie arm sind oder alt. Sonntags feiern wir keine Messe, sondern geben zwei Stunden lang die Kommunion aus. Da können dreimal so viele Leute kommen. Und wir beten jeden Abend zusammen. Auch für HöVi-Land gilt: Die Gruppenleiter engagieren sich trotzdem.
KNA: Warum ist das wichtig?
Meurer: Bei HöVi-Land geht's um den Zusammenhalt - und im Moment ist Solidarität ja besonders nötig. Wenn wir jetzt die Beine lang strecken und sagen "Annemie, ich kann nit mih" (rheinisch für "Annemie, ich kann nicht mehr"), dann kommt es doch so rüber, als ob alles egal ist. Die Hövi-Land-Gruppenleiter sind das ganze Jahr über Vorbilder der Kinder. Um unser Viertel aus der Verwahrlosung zu halten, sind die jungen Leute, die wir ausbilden, der entscheidende Faktor. Einfach nur Kinder bespaßen kann jeder.
KNA: In Ihrer Pfarrei gibt es auch Alleinerziehende und bedürftige Eltern, die in den Sommerferien arbeiten müssen. Was bedeutet es für diese Familien, wenn eine Ferienfreizeit ausfällt oder in geringerem Umfang stattfindet?
Meurer: Das ist doch klar. Dann hängen die Kinder rum - fertig! Das ist aber doch jetzt schon so, wenn die Kinder nicht in die Schule gehen können. Da sind die einfachen Eltern überfordert. Wir hatten hier schon eine Familie mit sieben Kindern in einer Drei-Zimmer-Wohnung. Die Eltern haben in der Küche geschlafen. Da kannst du doch nicht in Ruhe Home-Schooling machen. Da muss man was entgegensetzen. Dazu gehört auch HöVi-Land. Dazu gehört auch, dass ich mich gleich mit einem Mädchen und ihrer Mutter treffe. Das Kind hat hier angerufen, ihre Mutter werde allmählich depressiv.
KNA: Den Kirchen ist in den vergangenen Tagen vorgeworfen worden, dass sie sich in der Corona-Krise zu wenig eingesetzt hätten.
Meurer: Das ist doch alles Quatsch! Zu viel, zu wenig - das ist doch alles Blödsinn, finde ich. Wir als Katholiken müssen aufpassen, dass wir nicht zu klerikal rüberkommen. Das ist unser Riesenproblem, dass alte, weiße Männer rumturnen. In unserer Gemeinde verfassen Frauen und auch ein junger Mann Wochenandachten. Es will doch keiner lesen, was der Pastor glaubt. Die Leute wollen lesen, was die junge Mutter und der junge Bob-Marley-Fan glauben. Das ist das Pfund, auf das es ankommt! Man muss immer von den Menschen her denken.
Das Interview führte Anita Hirschbeck.