Es ist wohl eines der deutschen Trümmerfotos schlechthin: Durch die notdürftig frei geräumten Straßen des zerstörten Köln zieht die erste Fronleichnamsprozession nach dem Zweiten Weltkrieg. Ende Mai 1945: Vor den Ruinen mit ihren dunklen Fensterhöhlen, die schief und schartig in den Himmel ragen, schiebt sich eine lange Reihe dunkel gekleideter Menschen, vor allem der Nonnen der Kölner Klöster, durch eine Mondlandschaft.
75 Jahre nach Kriegsende hat das Bild neue Aufmerksamkeit gefunden. Im 2019 erschienenen Bestseller "Wolfszeit. Deutschland und die Deutschen 1945 - 1955" hat Autor Harald Jähner das Foto, das dem Betrachter das Blut in den Adern gefrieren lässt, genauer auf seine künstlerische Aussage analysiert.
Trümmerfotografie der Nachkriegszeit
Bereits 2015 hatte die Ausstellung "1945 Köln und Dresden - Fotografien von Hermann Claasen und Richard Peter sen." die Ästhetik solcher Trümmerfotos untersucht und daran erinnert, unter welchen Vorzeichen die Deutschen nach der völligen Weltkriegsniederlage den Neubeginn wagten. Neben Richard Peter mit seinem Fotobuch zum zerstörten Dresden ("Eine Kamera klagt an", 1949) gilt Claasens Veröffentlichung bis heute als wichtigster und stilbildender Beitrag zur Trümmerfotografie der Nachkriegszeit.
Berufsfotograf Claasen (1899-1989) hatte bis zum Kriegsende - trotz strengstem Fotografierverbots - Bilder vom Leben im zerstörten Köln gemacht. 90 Prozent der Innenstadt waren nach dem letzten und schwersten Bombenangriff dem Erdboden gleichgemacht.
Die Schwarz-Weiß-Aufnahme der Prozession ist fern von jeder traditionellen Fronleichnams-Pracht. Claasens Trümmerbild erweckt den Eindruck einer Büßerprozession und wirkt auf heutige Betrachter eher wie eine mittelalterliche Pestprozession durch die von Schutt freigeräumten Straßen. Abgedruckt ist das Foto erstmals in seinem 1947 erschienenen Buch "Gesang im Feuerofen", das in vielen Aufnahmen das zerstörte "heilige" Köln der Kirchen und Klöster als Fanal gegen weitere Kriege zeigt.
Montage aus zwei Teilen
Ausstellung und das Buch "Wolfszeit" heben allerdings zugleich hervor, wie bewusst Fotograf Claasen das Bild komponiert und - in heutiger Sprache - gefaked hat. Denn die Aufnahme ist eine Montage aus zwei Teilen: Die Panorama-Ansicht wurde verlängert, indem der Fotograf den Mittelteil gleich zweimal verwendete und nebeneinander klebte. Das fällt im Buch kaum auf, da die Kante zwischen beiden Aufnahmen durch den Buchfalz verdeckt wird.
Die Wirkung ist deshalb beeindruckend: Die Fronleichnamsprozession zieht sich scheinbar endlos durch eine apokalyptische Trümmerlandschaft. In Wirklichkeit handelte es sich um eine viel kleinere Prozession. Zu diesem Zeitpunkt wohnten kaum 20.000 Menschen in der völlig zerbombten Stadt.
Kölner Überlebenswille, überzeitlich Gültiges an einem zerstörten Ort: Der Fotograf habe mit der Fotomontage eine ins Mythische gesteigerte christliche Neubesinnung ins Bild gesetzt, schrieb der Historiker Bernd-A. Rusiknek. Kritiker erklärten, die Aufnahmen aus städtischen Trümmerwüsten - darunter auch Claasens Trümmermadonna von Sankt Kolumba - zeigten die Deutschen als Opfer und blendeten alle politischen Ursachen für die Zerstörung aus.
Jähner betont in "Wolfszeit" mit Blick auf das Fronleichnams-Bild: "Die in Scherben liegende Stadt bot ein allumfassendes Vanitasmotiv und belebte so einen Sex-Appeal wieder, den man vor allem in katholischen Städten aus der barocken Vergeblichkeitsrhetorik kannte."