Ehem. Bischof in Südafrika über Polizeigewalt und Rassismus

"Das hat mich wütend gemacht"

Als er der Priester Michael Wüstenberg 1992 nach Südafrika kam, galten dort noch die Gesetze der Rassentrennung. 2008 wurde er zum Bischof geweiht.Nun lebt er wieder in Hildesheim. Im Interview spricht er über Rassismus und Versöhnung.

Alltag zu Corona-Zeiten in Johannesburg / © Jerome Delay (dpa)
Alltag zu Corona-Zeiten in Johannesburg / © Jerome Delay ( dpa )

KNA: Was haben Sie empfunden, als Sie die Bilder vom Fall George Floyd gesehen haben?

Bischof Michael Wüstenberg (Leitete bis 2017 die Diözese Aliwal North im Zentrum Südafrikas): Das hat mich angekotzt. Das ist ja kein Einzelfall, dass Schwarze von der Polizei angegriffen werden. Es hat mich so geärgert und wütend gemacht und mir kamen viele Erinnerungen wieder hoch. In Südafrika habe ich einen sehr systematischen Rassismus kennengelernt.

KNA: Was sind das für Erinnerungen?

Wüstenberg: Ich habe viele Vorfälle von Rassismus erlebt. Rassismus kann alles mit seinen Fasern durchziehen. Als ich 1992 in Aliwal ankam, fielen mir zuerst die Hunde der Polizei auf. Die bellten die Leute sehr aggressiv an und zogen an den Ketten. Als ich einmal an den Hunden vorbeigehen musste, wurden die plötzlich ganz ruhig.

Sobald aber Schwarze an ihnen vorbeigingen, schlugen sie wieder an. Also, die Hunde waren auf schwarze Menschen trainiert. Das war eine der Methoden, den Leuten Angst zu machen und ihnen zu zeigen, dass sie unter Kontrolle sind.

KNA: Was haben Sie sonst noch erlebt?

Wüstenberg: Die Schwarzen hatten zum Beispiel Angst, nachts zu reisen. Im Bistum Aliwal liegen die Ortschaften teilweise 50 Kilometer auseinander. Es gab viele Geschichten, dass Menschen auf dem flachen Land von der Polizei kontrolliert wurden und nach drei Kilometern wieder von Leuten angehalten wurden, die die Polizei verständigt hatte. Und dann ging's zur Sache. Das war ein schreckliches System der Angst.

KNA: Haben Sie Rassismus auch in den Kirchengemeinden in Südafrika erlebt?

Wüstenberg: Eher von europäischen Priestern oder Ordensleuten ausgehend. Rassismus ist so ein süßes, teuflisches Gift, wenn man zur privilegierten Seite gehört, dass man leicht verführt werden kann.

Ich habe wunderbare Europäer kennengelernt, die nach Südafrika gekommen waren. Aber es gab auch andere. Eine schwarze Gemeinde hat mir von einem weißen Priester erzählt, der meinte, dass das Erlernen der lokalen Sprache nicht seine Priorität sei. Die Aufgabe der Kirche ist, Menschlichkeit zu verkünden. Wenn jemand das nicht können will in der Sprache, die die Leute verstehen, ist das ein Problem.

KNA: Wie schätzen Sie die Lage in Deutschland ein, wenn es um Rassismus geht?

Wüstenberg: Die Lage ist natürlich ganz anders als in Südafrika. Aber Fremdenfeindlichkeit gibt es überall, denke ich. Nachdem im hessischen Wächtersbach vor einem Jahr ein Eritreer angeschossen wurde, hielt ich am Wochenende darauf einen Gottesdienst in der Nachbargemeinde. Da kann man dieses Thema ja nicht auslassen. Die Reaktion war, dass eine Person aufstand und ging. Mir wurde später gesagt, das sei wegen der Predigt gewesen.

Ich habe manchmal den Eindruck, dass rassistische Einstellungen in Deutschland viel mit wirtschaftlichen Fragen und mit Machtfragen - also mit der gefühlten Macht und der Ohnmacht - zu tun haben. Das ging schon mit der Wende los, dass sich Menschen am Rande fühlen und benachteiligt gegenüber anderen. Und da haben sie ja vermutlich sogar Recht. Die Frage ist nur, wie man mit diesem Unwohlsein umgeht.

KNA: Was könnte die Kirche hier tun?

Wüstenberg: Mit Blick auf die katholische Soziallehre würde ich mir mehr Einsatz wünschen. Für mich lautet zudem die Frage: Wie kommen Rassismus und Diskriminierung in unserer Verkündigung vor? Werden diese Dinge überhaupt angesprochen? Wir reden von Kulturen, aber wie sind wir als Kirche ein Ort von interkultureller Kompetenz? Haben die Leute Gefallen daran zu entdecken, wie schön vielfältig die Weltkirche ist? Das geht schon bei der Ausbildung von Priestern los.

KNA: Kommen diese Themen Ihrer Meinung nach ausreichend vor?

Wüstenberg: Ich habe nicht den Eindruck. Wenn es um das Thema Kulturen geht, gibt es sehr viel gutes Material aus der Wirtschaft. Die haben ein handfestes Interesse, weil die Geschäfte machen wollen.

Manchmal frage ich mich, wo bei uns diese Lebensthemen bleiben, zum Beispiel der Umgang damit, dass wir als Menschen verschieden sind. Gott hat den Menschen geschaffen. In der Bibel steht nicht, ob die Menschen hell oder dunkel waren.

KNA: Die Proteste gegen Rassismus in den USA sind teilweise gewaltsam verlaufen. Was halten Sie davon?

Wüstenberg: Ich denke, dass Plünderungen nicht die Intention sind von denen, die mit den Demonstrationen angefangen haben. Wir sollten versuchen, uns die Ursachen von Gewalt anzuschauen und da auch aktiv werden. Es geht jetzt wirklich um christliche Kernthemen, etwa um Versöhnung. Leider haben wir da zu viel in den Beichtstuhl eingesperrt.

Versöhnung ist eine ganz umfassende Sache, wir müssen zum Beispiel den Umgang miteinander trainieren und in der Gesellschaft für Ausgleich sorgen. Viele reduzieren die Feier der Versöhnung auf den Beichtstuhl. Die Kirche sollte aber eine Kultur der Versöhnung fördern.

Das Interview führte Anita Hirschbeck.

 

Bischof Michael Wüstenberg / © Johannes Schidelko (KNA)
Bischof Michael Wüstenberg / © Johannes Schidelko ( KNA )
Quelle:
KNA
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