Aus der Traum von einem Freiwilligenjahr in Uganda

"Ich wollte etwas beitragen, damit es anderen besser geht"

Freiwilligendienste haben Hochkonjunktur – wenn da nicht Corona wäre. Tausende Abiturienten hatten bereits das Flugticket zu einem Hilfsprojekt so gut wie in der Tasche. Doch nun macht ihnen das Virus einen Strich durch die Rechnung.

Autor/in:
Beatrice Tomasetti
Viele Kinder in Uganda vermissen Mutterliebe / © Beatrice Tomasetti (DR)
Viele Kinder in Uganda vermissen Mutterliebe / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Das Abitur ist geschafft. Und nun ruft das große Abenteuer. So jedenfalls hatte es sich Antonia Küppers noch bis vor drei Tagen gedacht. Ein Freies Soziales Jahr wollte die 18-Jährige in Uganda absolvieren. Auch wenn die Kölnerin, die vor wenigen Wochen an der Erzbischöflichen Liebfrauenschule ihre Hochschulreife abgelegt hat, lange nach einem für sie passgenauen Sozialeinsatz auf der Suche war – irgendwie hatte das Afrika-Projekt am Ende sie gefunden. "Mich hat immer schon dieser Kontinent gereizt. Und ich wollte von diesen westlichen privilegierten Verhältnissen weg, unbedingt meinen Blickwinkel verändern, den Horizont weiten und mich einmal auf etwas völlig anderes besinnen. Das war schon lange mein Plan für die Zeit nach der Schule", erklärt die frisch gebackene Abiturientin.

Bei ihren Recherchen stößt sie auf "Vision for Africa", eine von der Österreicherin Maria Luise Prean gegründete christliche Hilfsorganisation in Uganda, die sich der Fürsorge und Ausbildung benachteiligter Kinder und Jugendlicher verschrieben hat. Die meisten Kinder, die zu "Vision for Africa" gebracht werden, sind entweder verwaist, vernachlässigt, misshandelt, irgendwo von ihren Eltern einfach abgelegt oder in menschenunwürdigen Zuständen aufgefunden worden. Im "Land of Hope" kommen die Kinder dann je nach Alter und Vorbildung – und auch erst dann, wenn sie wieder bei Kräften sind – in die Kleinkindergruppe, den Kindergarten, die Vorschule oder in die Grundschule; in die nach Altersgruppen gestaffelten Einrichtungen, die sich alle auf dem weitläufigen "Vision for Africa"-Gelände befinden.

In sogenannten Kinderhäusern werden sie von "Hausmüttern" betreut, die mit diesen elternlosen Kindern zusammenleben und ihnen primär ein Gefühl von Familie vermitteln wollen. Denn neben der medizinischen Behandlung ist meist die Sozialisierung in einem neuen familiär geprägten Umfeld mit der Erfahrung von Sicherheit, Geborgenheit und Zuneigung das, was die kleinen und nicht selten traumatisierten Neuankömmlinge am dringendsten benötigen.

Sich auf eines der ärmsten Länder der Welt einlassen

Darüber hinaus geht es darum, den Kindern christliche Werte mitzugeben, "so dass sie ihr Leben selbstverantwortlich mit Gott leben können, sich bei Jesus geborgen fühlen und für zukünftige Generationen wiederum gottesfürchtige Menschen heranbilden können". So ist es bei "Vision for Africa" nachzulesen. "Gleichzeitig helfen wir, das soziale Umfeld für die Kinder zu verbessern und die Infrastruktur der Gesellschaft auszubauen, indem wir unter anderem eigene Schulen, Ausbildungsstätten und Krankenhäuser errichten, die ständig erweitert und optimiert werden", betonen die Verantwortlichen.

Antonia reizt die Arbeit mit Kindern und das Zusammenleben mit vielen anderen Freiwilligen auf einem Campus, der etwa zwei Autostunden von der Hauptstadt Kampala entfernt liegt. "Mich mit Kindern zu beschäftigen, ihnen vertrauensvolle Ansprechpartnerin zu sein – gerade auch nach dem Verlust ihrer Eltern oder einem vergleichbar furchtbaren Schmerz – hatte ich immer schon als Idee in meinem Kopf. Vor allem aber war mir wichtig, das Leben noch einmal von einer ganz neuen Seite zu betrachten." Auf die unbekannten Herausforderungen in dem ostafrikanischen Binnenland mit seinen rund 35 Millionen Einwohnern, das zu den ärmsten Ländern weltweit zählt, wollte sie sich voll und ganz einlassen.

"Ich möchte etwas zurückgeben"

"Ich werde nicht von ungefähr gerade auf diese Reise geschickt", hatte sich Antonia vor wenigen Tagen noch überzeugt gezeigt. "Aus meinem Glauben heraus bin ich gerufen und zu diesem konkreten Dienst bestellt." Gerade auch von diesem Aspekt ihres Freiwilligenjahrs, mit anderen Menschen gemeinsam im Glauben unterwegs zu sein und sich auszutauschen über das, was das eigene Leben trägt, hatte sie sich neue Impulse für ihre Spiritualität und auch die nächsten Entscheidungen auf dem weiteren Lebensweg erhofft. "Ich bin mir sicher, dass sich meine religiöse Einstellung – das, woran ich mich immer schon festgemacht habe und orientiere – durch die Erfahrungen in Uganda und allem, was ich bisher über das Leben dort weiß, noch einmal deutlich bewegen wird und mich unter Umständen ganz neue Impulse zum Umdenken bringen, gleichzeitig aber auch beflügeln und stärken werden."

Mit ihrer Liebe zu Musik und Bewegung hatte sie sich jedenfalls schon im Vorfeld der Reise genau am richtigen Ort gesehen. "Mich faszinieren Gospelchöre", hatte Antonia da noch geschwärmt. "Ich kann es kaum erwarten, in diesen so unbeschwerten Teil afrikanischer Kultur einzutauchen." Vor allem aber gehe es ihr darum, sich für junge Menschen, für die das umsorgte und sorgenfreie Aufwachsen keine selbstverständliche Realität ist, sehr konkret in den Dienst nehmen zu lassen. "Ich wollte etwas von dem zurückgeben, was ich selbst in meiner behüteten Kindheit erlebt habe. Dazu wollte ich mich gerne fordern und herausfordern lassen. Das war mir ganz wichtig und die eigentliche Antriebskraft zu diesem Schritt."

"Offen sein für das, was Gott für mich geplant hat"

Eine siebenwöchige "Lebens- und Glaubensschule" in Imst/Tirol, deren Teilnahme für alle Volunteers bei dem "Vision for Africa"-Projekt verpflichtend ist, hätte Mitte Oktober stattgefunden, bevor Antonia dann Anfang des Jahres nach Uganda entsendet worden wäre. Doch auch unabhängig von diesem offiziellen Vorbereitungskurs mit vielen Hinweisen zu Uganda und den spezifischen Besonderheiten dieses Landes hatte sich Antonia längst mit den Beweggründen von Initiatorin Maria Luise Prean, die sich auch als Missionarin versteht, vertraut gemacht. Schließlich ist Prean darüber hinaus Autorin mehrerer Bücher, in denen sie ihre christliche Grundhaltung und ihre Vorstellungen von einem besseren Leben für benachteiligte Kinder in Afrika darlegt – ganz nach dem Grundsatz "Die Welt verändern, indem wir Kindern helfen".

Letztlich gab diese Lektüre den Ausschlag für Antonias Entscheidung. "Es geht darum, offen zu sein für das, was Gott für mich geplant hat", so hatte die 18-Jährige ihre Motivation, die sie in den Publikationen von Prean widergespiegelt findet, noch vor Kurzem begründet. "Ich hoffe, dass ich zumindest einen kleinen Teil dazu beitragen kann, dass es anderen Menschen in einem entlegenen Teil dieser Erde besser geht, indem ich sie unterstütze, begleite und einfach für sie da bin."

Abiturienten stehen vor Scherbenhaufen ihres Zukunftstraums

Antonia hatte sich ganz auf ihren Abreisetermin im Januar fokussiert und viel Herzblut in ihr Vorhaben investiert. Doch wie es aussieht, steht sie nun mit leeren Händen da. Völlig überraschend traf sie die Absage, die innerhalb von Minuten alle lang gehegten Pläne und ihre große Vorfreude zunichte macht. Die Organisation könne zum jetzigen Zeitpunkt keine Verantwortung für die Volunteers übernehmen. Zu ungewiss sei, wie sich die Bekämpfung des Coronavirus in Uganda entwickeln werde, heißt es von offizieller Seite. Zudem seien die ugandischen Schulen, in denen die deutsche Freiwillige ihren Einsatz gehabt hätte, zurzeit noch nicht wieder geöffnet.

Im Moment weiß Antonia nicht annähernd, wie sie mit dieser Situation umgehen soll. Die Enttäuschung sitzt tief. Einen Plan B hatte es von Anfang an für sie nicht gegeben. Wie sie stehen nun viele andere Abiturienten auch vor dem Scherbenhaufen eines Zukunftstraums. Denn eigentlich sollte es das Jahr ihres Lebens werden. Zahlreiche Hilfsorganisationen hatten ihrerseits auf die vielen ehrenamtlichen Helfer gesetzt. Doch Corona hat Antonia und den weltweit vielen Freiwilligen einen gehörigen Strich durch die Rechnung gemacht.


Geplatzter Traum: Antonia Küppers wollte für ein Jahr nach Uganda gehen / © N.N. (privat)
Geplatzter Traum: Antonia Küppers wollte für ein Jahr nach Uganda gehen / © N.N. ( privat )
Quelle:
DR