Vor sechs Jahren dachte Samson Wolday Weldeyohans noch, er könne seine Frau und seine beiden Kinder bald wiedersehen. Der heute 48-jährige Eritreer war 2014 nach Deutschland geflohen. Zwei Jahre später stellte er einen Antrag auf Familiennachzug. Fast wäre es im März dieses Jahres zum Wiedersehen gekommen. Doch die Corona-Krise machte die Pläne zunichte - und hat eine Ankunft der Familie erneut in weite Ferne rücken lassen.
Wolday Weldeyohans sitzt in den Räumen der Caritas-Migrationsberatung im schleswig-holsteinischen Itzehoe. Vor ihm liegt sein Handy, das seit langer Zeit die einzige Verbindung zu seiner Familie ist. Seine Söhne sind acht und zwölf Jahre alt; der Jüngere kennt seinen Vater nur aus dem Videochat.
Flucht als Ausweg
Der Eritreer floh vor dem harten Militärdienst in seinem Heimatland und lebte zunächst mit seiner Familie einige Jahre im Sudan, bevor er über das Mittelmeer nach Europa kam. 2016 erhielt er seine offizielle Anerkennung als Flüchtling in Deutschland und beantragte gleich darauf den Nachzug seiner Familie. Damit begann - wie für viele Eritreer - eine Behörden-Odyssee. Unter anderem eine in Eritrea nicht verbreitete staatliche Ehe-Urkunde sowie einen Pass musste seine Frau vom Sudan aus beschaffen. Eine aus seiner Sicht mangelnde Kooperationsbereitschaft der verschiedenen Ämter und teils monatelange Wartezeiten erschwerten den Prozess.
Anfang dieses Jahres war es schließlich soweit: Nachdem alle notwendigen Dokumente zusammen waren, erhielten Frau und Kinder das langersehnte Visum. Seine ehrenamtliche Betreuerin gewährte dem Flüchtling einen zinslosen Kredit, von dem er die Flugtickets bezahlte. Am 16. März sollte die Reise stattfinden.
Lange ersehntes Wiedersehen
Der Familienvater begann, eine Willkommensfeier für seine Frau und seine beiden Söhne vorzubereiten, kaufte Essen und Getränke und schmückte das Auto, mit dem er die Angehörigen abholen wollte. Seine Frau löste ihre Wohnung im Sudan auf, verkaufte die Möbel und fuhr zum Flughafen.
Was die beiden nicht ahnten: Ab dem 17. März erließ Deutschland nach einem gemeinsamen Beschluss der EU-Staaten einen Einreisestopp aus Drittländern. Damit kam es faktisch auch zur Aussetzung des Familiennachzugs. Die Frau erfuhr erst am Airport, dass ihr Flug ersatzlos gestrichen war. Der Traum vom Wiedersehen war plötzlich geplatzt. "Als ich die Nachricht erhalten habe, wurde ich krank", erzählt der Ehemann. "Ich habe drei Tage nicht gegessen und getrunken und einfach nur geweint."
Bei weitem kein Einzelfall
Allein in ihrer Beratungsstelle gebe es drei solcher Fälle, sagt Christine Jalang'o von der Caritas-Migrationsberatung. Für die Betroffenen sei die Situation kaum auszuhalten. "Das ist, als wenn man bei einem Marathon fünf Meter vor dem Ziel zusammenbricht und nicht weiterlaufen kann." Sie befürchtet, dass sich die Verfahren der Betroffenen erneut über viele Jahren hinziehen könnten.
Zwar wurden Anfang Juli die Reisebeschränkungen wieder gelockert. Der Familiennachzug zählt jetzt zu den wichtigen Gründen, aus denen Einreisen aus Drittstaaten möglich sind. Doch inzwischen ist das auf drei Monate befristete Visum von Familie Wolday Weldeyohans abgelaufen.
Suche nach Lösungen
Das Bundesinnenministerium hat Betroffenen in solchen Fällen im Juni erlaubt, eine sogenannte Neuvisierung zu beantragen. Dafür haben sie einen Monat lang Zeit. Der Fristbeginn ist von der jeweiligen Botschaft abhängig und damit ungewiss. Viele deutsche Auslandsvertretungen sind im Moment coronabedingt noch geschlossen - so auch die Botschaft im Sudan.
Auch die Arbeitsgemeinschaft Pro Asyl schlägt Alarm. Die kurze Fristsetzung sei "sehr problematisch und nicht nachvollziehbar", insbesondere da die Betroffenen nicht persönlich über den jeweiligen Fristbeginn informiert würden, heißt es in einer Stellungnahme. Außerdem werde nicht ausgeschlossen, dass die Antragsteller inzwischen abgelaufene Dokumente erneut beschaffen oder persönlich bei den Botschaften vorsprechen müssten: "Damit könnte das Wiedersehen von Ehepartnern oder Kindern für manche Betroffene erneut in weite Ferne rücken - obwohl sie das Verfahren für den Familiennachzug schon durchlaufen haben." Ohnehin werde der Familiennachzug seitens der Bundesregierung seit Jahren politisch verzögert.
Wolday Weldeyohans spielt auf seinem Handy eine aktuelle Sprachnachricht von seiner Frau ab, in der sie ihre aussichtslose Lage im Sudan ohne Wohnung beklagt. "Langsam weiß ich nicht mehr, was ich ihr noch sagen soll", seufzt der Ehemann. Aber aufgeben will er
nicht: "Ich habe immer noch Hoffnung, dass sie irgendwann kommt."
Michael Althaus