DOMRADIO.DE: Elf Leitsätze für die Kirche der Zukunft in Zeiten der Krise, in Zeiten schwindender Mitglieder und Finanzen – oder das "Ende der Kirche, wie wir sie kennen", wie Hannah Bethke in der FAZ schreibt? Drei Jahre lang hat das sogenannte "Zukunftsteam" der EKD diese Leitsätze ausgearbeitet. Sind die Befürchtungen übertrieben oder besteht tatsächlich die Gefahr, dass es so kommen wird?
Thies Gundlach (Vizepräsident im Kirchenamt der EKD): Ich bin dankbar für den Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Er zeigt eine gewisse Linie auf und übertreibt. Dass wir keinen Sonntagsgottesdienst mehr haben, dass es kein Glockengeläut gibt, das sind ja alles Katastrophenbilder. Wir müssen ganz neu fragen, wo eigentlich die Menschen sind, die vor Gott stehen und beten wollen – und wo sie nicht sind? Welche Gottesdienst-Angebote haben wir? Wo gibt es weniger Beteiligung und Gemeinschaft und wo sind Gottesdienste, an denen viele teilnehmen, weil sie berührt sind und es ihnen wichtig ist?
Diese kritische Frage über das, was wir seit Jahrhunderten tradieren, nämlich Parochien, Ortsgemeinden – die es zum Teil wirklich schwer haben, überhaupt noch Menschen für den Sonntagsgottesdienst zu begeistern – diese Frage ist außerordentlich wichtig. Ähnlich wie andere kritische Fragen, die wir uns bei dem Bestand, den wir haben, stellen. Insofern wird es eine andere Kirche werden: eine flexiblere, eine modernere.
Das moderne Wort heißt "agile Kirche", wobei man sich darunter vieles vorstellen kann. Es ist gleichzeitig eine kritische Kirche, die das Evangelium stark machen will und deswegen kritisch gegenüber der Tätigkeit der Kirche darauf blickt und versucht zu unterscheiden, wo keine Resonanz, keine Gemeinschaft mehr entsteht gegenüber den Orten, an denen genau das Gegenteil der Fall ist.
DOMRADIO.DE: "Damit nimmt man der Kirche eigentlich das Kirchesein." Was sagen Sie dazu?
Gundlach: Das Kirchesein hängt daran, dass wir unserer Aufgabe entspreche, nämlich das Evangelium zu verkünden und die Gemeinschaft derjenigen zu suchen, die dieses Evangelium hören und bekennen. Das bleibt unsere Kernaufgabe und insofern bleiben wir auch Kirche. Wir definieren unsere Kirche nicht als Institution, sondern über diese Aufgabe. Das ist vielleicht typisch evangelisch, aber das ist unsere Kernaufgabe: das Evangelium zu zeigen und die eigene Theologie danach auszurichten. Das werden wir auch in Zukunft tun. Insofern wird Kirche bleiben.
DOMRADIO.DE: Sie haben vor drei Jahren schon angefangen, die elf Leitsätze auszuarbeiten. Da war die Kirche noch in einer anderen Situation. In den letzten Monaten wurde ja auch nochmal einiges beschleunigt, was Finanzen, Kirchensteuern und Mitgliederzahlen angeht. Das wird auch intern nicht konfliktfrei abgelaufen sein, oder?
Gundlach: Das wäre ja auch schade und verwunderlich. Wir sind eine große Organisation. Obwohl wir leider viele Menschen verlieren, sind es ja immer noch 20 Millionen. Und wenn 20 Millionen Menschen sich auf ein Leitsatzpapier einigen sollen, dann ist das ein großer Prozess. Aber diese Diskussion um die Fragen: Was ist unser Öffentlichkeitsauftrag? Was ist Frömmigkeit heute? Was ist Seelsorge, wie viel Ökumene? Das sind ja die Themen der Leitsätze. Wir brauchen die Diskussion. Es ist kein Weg für die evangelische Kirche, einfach von oben zu sagen, wie es gemacht wird. Insofern ist das ein Diskussionspapier, das eine Richtung zeigt: eine Entwicklungsrichtung. Ich bin eigentlich nicht unzufrieden mit der Entwicklung.
DOMRADIO.DE: Sie sagen, gerade in den Zeiten, wo die Finanzen zurückgehen, ist es schwierig, immer zwei Krankenhaus- oder Gefängniseelsorger zu haben, sondern man müsste mehr ökumenisch zusammenarbeiten. Könnte das die großen Kirchen näher aneinander bringen?
Gundlach: Wir sind schon näher beieinander in theologischen und auch ekklesiologischen Fragen. Deswegen können wir uns gegenseitig vertreten. Wir haben in den letzten 50 Jahren in vielfältiger Hinsicht theologische Klärung hinter uns, die uns hilft und möglich macht, dass wir uns gegenseitig stärken und vertreten können und nicht mehr überall zu zweit auftauchen müssen. Das ist aber das Ergebnis von ökumenischen Klärungen und es ist nicht so, dass uns erst das mangelnde Geld dazu treibt. Ökumene gab es schon früher.
DOMRADIO.DE: Sie haben gesagt, man kann das nicht von oben nach unten verabschieden, gerade in der EKD, wo die Teilkirchen ja alle eine relativ hohe Selbstständigkeit haben. Deswegen befasst sich der letzte der elf Punkte auch gerade mit den Kompetenzen der Kirchen der EKD. Sie wollen jetzt erst einmal bis November darüber diskutieren. Wie wird es danach weitergehen? Wie wird das dann umgesetzt werden können?
Gundlach: Wir werden diese Thesen noch überarbeiten anhand der Kritik und der Anregungen, die wir bekommen. Es gibt zum Beispiel eine sehr gute, überzeugende Anregung: Da fehlt das Thema Seelsorge in Amtshandlungen, wie Trauungen, Taufen, Beerdigungen. Es ist durchaus so, dass sich das Papier noch verändern wird. In der Synode, das bei uns das entscheidende Gremium, wird im November, so hoffe ich, eine grundsätzliche Zustimmung in diese Richtung der Kirchenentwicklung kommen. Dann geht es darum das Ganze umzusetzen und mit den notwendigen Einsparungen oder Umorganisationen zu verbinden , vor denen alle Institutionen stehen. Dann hoffen wir, dass wir genug Zeit haben, diese Umgestaltung sozial verträglich und verantwortlich umzusetzen.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.