Belarussische Theologin fordert Beistand für Gewaltopfer

"Stoppt die Gewalt!"

Die belarussische Theologin Natalia Vasilevitsch hat die Kirchen in ihrem Heimatland aufgerufen, sich für die Opfer der staatlichen Gewalt einzusetzen. "Wir erwarten von Kirchenvertretern jetzt vor allem, dass sie Verfolgten beistehen."

Autor/in:
Irene Dänzer-Vanotti
Ein Paar umarmt sich, nachdem es aus einer Haftanstalt in Minsk entlassen wurde / © N.N. (dpa)
Ein Paar umarmt sich, nachdem es aus einer Haftanstalt in Minsk entlassen wurde / © N.N. ( dpa )

Das sagte Vasilevitsch, die zurzeit an der Universität Bonn arbeitet, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Für unrealistisch hält sie jedoch die Einrichtung eines Runden Tisches, der die Wahlergebnisse ermitteln und die Zukunft des Landes planen soll, wie ihn Vertreter der Kirche in Belarus fordern. Der autokratisch regierende Präsident Alexander Lukaschenko werde keine Gespräche mit der individuell agierenden Opposition führen.

Die Mehrheit der Belarussen gehört der Orthodoxen Kirche an. Sie ist traditionell eng mit dem Staat verbunden. Vasilevitsch beobachtet aber auch hier ungewöhnlich unterschiedliche Meinungen: während manche Bischöfe Lukaschenko bereits zum Wahlsieg gratuliert hätten, distanzierten sich andere Geistliche auf Facebook ausdrücklich von dieser Haltung.

"Stoppt die Gewalt!"

Für Sonntag haben Kirchenvertreter zu Gebeten für ein Ende der Gewalt im ganzen Land aufgerufen. In der westbelarussischen Stadt Grodno haben Geistliche nach Informationen der Aktivistin Opfer der Gewalt des Staates besucht. Andere Geistliche nähmen mit Plakaten wie "Stoppt die Gewalt!" an den Demonstrationen teil, sagte Vasilevitsch.

Den für viele politische Beobachter unerwarteten Aufschwung der Opposition hält die Theologin für eine Folge des Umgangs von Belarus mit der Corona-Pandemie. "Da die Regierung das Virus lange geleugnet und keine Vorsichtsmaßnahmen ergriffen hat, wurden die Menschen selbst aktiv, kauften Masken und informierten sich gegenseitig", berichtete Vasilevitsch. Die Notwendigkeit und der Erfolg dieser Selbsthilfe habe sich dann im Wahlkampf auf die Unterstützung der Kandidatin Swetlana Tichanowskaja ausgeweitet.

Der Ausgang der Präsidentenwahl in Belarus vom vergangenen Sonntag ist bisher nicht bekannt. Während die Regierung von einem Sieg des seit 26 Jahren amtierenden Präsidenten Alexander Lukaschenko spricht, halten oppositionelle Kräfte das Ergebnis für gefälscht. Die OSZE war nicht zur Wahlbeobachtung zugelassen worden. Bei Demonstrationen kam es zu blutigen Auseinandersetzungen. Tausende Menschen wurden festgenommen und nach eigenen Aussagen misshandelt.


Quelle:
epd