Für die afrikanischen Gesundheitsminister ist der 25. August ein bedeutender Tag. Jahrelang hatte es immer wieder Hoffnung gegeben, dass kein neuer Fall von Polio auftritt. Doch die wurde immer wieder zunichte gemacht; letztmals im nordnigerianischen Bundesstaat Borno, als im August 2016 erneut zwei Fälle gemeldet wurden.
Umso größer die Freude bei der 70. Sitzung des afrikanischen WHO-Komitees, die wegen der Corona-Pandemie virtuell stattfinden musste. Neben den steigenden Zahlen und teils katastrophalen Auswirkungen von Covid-19 gab es eine gute Nachricht: Aktuell gibt es nur noch Afghanistan und Pakistan Polio-Fälle.
Rückschläge hatte es in den vergangenen Jahren immer wieder in Nigeria gegeben, dem mit rund 200 Millionen Menschen bevölkerungsreichsten Staat Afrika. Dabei sah die Entwicklung in den frühen 2000er Jahren gut aus. Mitverantwortlich für die Misere auch die Terrorgruppe Boko Haram, die im Februar 2013 neun Gesundheitsmitarbeiterinnen bei einer Impfung in der Nähe der Provinzhauptstadt Kano ermordete. Vor allem im Nordosten blieb es eine Zeit lang unmöglich, Impfkampagnen durchzuführen.
Skepsis gegenüber Impfungen
Doch auch unabhängig von der Miliz gab es ab 2003 im muslimisch geprägten Norden viel Skepsis. "Es gab Gerüchte, dass mit den Impfungen die Bevölkerung reduziert werden solle", erinnert sich Ibrahim Mualeem Zikirullahi. Er ist in Kano Direktor der nichtstaatlichen Organisation Chriced, einem Partner des Hilfswerks Misereor. Chriced organisiert Gesundheitskampagnen und setzt sich in der Region für das Impfen ein.
Die Impfstoffe stammten schließlich aus der westlichen und somit nichtmuslimischen Welt, wurde die Abwehrhaltung damals begründet. Die Verschwörungstheorien gingen jedoch noch weiter. Mitunter hieß es sogar, es handele sich um einen Plot der Zentralregierung in Abuja. Der damalige Präsident Olusegun Obasanjo war Christ - man wolle eine muslimische Dominanz im Land verhindern, so gingen die Gerüchte. Das Misstrauen zwischen den beiden größten Religionen im Land ist seit Jahrzehnten groß.
Hartnäckige Verschwörungstheorien
Warum der Norden so anfällig für Spekulationen war, liegt für Zikirullahi an mangelnder Bildung. "Vor allem Frauen gehen nicht zur Schule. Man hält sie davon ab, am öffentlichen Leben teilzunehmen. Dabei sind sie es, die wollen, dass ihre Kinder geimpft werden."
Bis heute halten sich Verschwörungsdiskussionen hartnäckig, nicht nur bei Impfungen. "Es gibt Menschen, die glauben, dass es Covid-19 gar nicht gebe; das alles sei bloß eine Kampagne", berichtet Chriced-Direktor Zikirullahi. "Das liegt auch daran, dass es grundsätzlich wenig Vertrauen in die Regierung gibt."
Impfzahlen kontinuierlich gestiegen
Umso wichtiger ist Aufklärungsarbeit. Das erlebt in der Provinzhauptstadt Kano auch Asabe Ismail, die die Verantwortung für das Gwagwarwa-Gesundheitszentrum hat. "Allein am Dienstag haben wir wieder 30 Kinder geimpft", sagt sie. In den vergangenen Jahren seien die Impfzahlen kontinuierlich gestiegen. Grund dafür sei die Zusammenarbeit verschiedener Organisationen mit dem UN-Kinderhilfswerk Unicef - und an einem engmaschigen Netzwerk mit zahlreichen freiwilligen Helfern. Sie klären nicht nur über die Notwendigkeit von Immunisierung auf, sondern besuchen auch Familien, die bislang nicht mit ihren Kindern gekommen sind, und erinnern sie an Impftermine.
Ibrahim Mualeem Zikirullahi geht noch einen Schritt weiter. "Wir müssen uns unbedingt mehr für die Rechte der Frauen einsetzen. Das ist eine sehr fordernde Aufgabe." Vor allem im dicht besiedelten Kano müsse sich zudem die Infrastruktur verbessern. Wegen fehlender Toiletten sei offene Defäkation ein großes Problem. Aber: "Genau so breiten sich Krankheiten aus."