Streit um Suizidbeihilfe belastet kirchliches Miteinander

Katholiken einig - Protestanten nicht

Geht es um bioethische Fragen, sind die Kirchen gefragt. Doch beim Thema Suizidbeihilfe sind sie keineswegs einig. Während die katholische Kirche eine klare Position hat, gibt es unter den Protestanten Differenzen.

Autor/in:
Christoph Arens
Eine verzweifelte Person in einem Krankenhausbett / © KieferPix (shutterstock)
Eine verzweifelte Person in einem Krankenhausbett / © KieferPix ( shutterstock )

"Das ist kein Leben mehr": Harald Mayer hat schwere Multiple Sklerose und kann sich kaum noch bewegen. Er hat große Angst, dass er bald nicht mehr selbstständig atmen kann. "Ich brauche einen Notausgang", sagt er im ARD-Film "Streitfall Sterbehilfe", der im Herbst ausgestrahlt wurde.

Einen solchen Notausgang hat ihm das Bundesverfassungsgericht verschafft. Im Februar kippten die Richter das Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zur Selbsttötung - und gaben dem Recht auf Suizid einen hohen Stellenwert: Selbsttötung sei Ausdruck von Selbstbestimmung, so das Urteil. Ein Paukenschlag und ein Wendepunkt in der Rechtskultur.

Erst herrschte Einigkeit

Kaum war das Urteil verkündet, demonstrierten die beiden großen Kirchen Einigkeit: In einer gemeinsamen Erklärung betonten die katholische Bischofskonferenz und der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Richterspruch sei ein "Einschnitt in unsere auf Bejahung und Förderung des Lebens ausgerichtete Kultur".

Organisierte Angebote der Selbsttötung dürften nicht zur Normalität werden. Doch während die katholischen Bischöfe das Urteil weiterhin harsch kritisieren, zeigten sich innerhalb der evangelischen Kirche schnell Risse. Deutlich wurden sie in der internen Debatte der EKD um eine Stellungnahme zum Urteil an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn.

Laut "Frankfurter Allgemeine Zeitung" gab es einen ersten Entwurf, der sich den Ruf der Richter nach Selbstbestimmung weitgehend zu eigen machte und von einem "Gebot der Humanität" sprach, Menschen zu einem würdigen Suizid zu verhelfen. In dem dann letztlich versandten Schreiben lässt sich die Kirche zwar vorsichtig auf das Urteil ein.

An ihrer Kritik am Verfassungsgericht hält sie aber fest. Von einem "Gebot der Humanität", Suizidwillige zu unterstützen, ist nicht mehr die Rede.

Landesbischof Meister prescht vor

Insbesondere der Landesbischof von Hannover, Ralf Meister, hat sich zum Sprecher derjenigen gemacht, die die Kirchen aus Nächstenliebe gefordert sehen, Suizidwillige bis zum Ende zu begleiten. Das könne auch in kirchlichen Einrichtungen geschehen, so der 58-jährige Theologe.

Unterstützung erhielt er am Freitag auch vom emeritierten Bamberger evangelischen Theologen Werner Ritter. Er warf der katholischen Kirche, aber auch dem EKD-Ratsvorsitzenden Bedford-Strohm, im Deutschlandfunk vor, ideologisch starr zu reagieren. Er habe aber die Hoffnung, dass durch Meisters Äußerungen Bewegung in die evangelische Kirche komme.

Differenzen lassen sich zunächst am Gottesbild festmachen: Meister und Ritter argumentieren, wenn das Leben von Gott geschenkt sei, dürfe der Mensch "auch über die Art und Weise und den Zeitpunkt des Lebensendes selbstbestimmt nachdenken".

Moraltheologe Bormann hält dagegen

Dem hält etwa der katholische Moraltheologe Franz-Josef Bormann entgegen, es gebe eine "ganz klare biblische Grundorientierung, dass Leben auf keinen Fall zerstört werden darf". Diese Position unterstützte auch die Bischofskonferenz: "Der Gedanke, die dem Menschen von Gott geschenkte Autonomie umfasse auch ein fundamentales Recht, sich selbst zu töten, ist problematisch", sagte Sprecher Matthias Kopp. Der Katholik und SPD-Politiker Wolfgang Thierse unterstützte: Als Christ begreife er das Leben als ein Geschenk und leite daraus "die prinzipielle Unverfügbarkeit" darüber ab.

Ganz unterschiedlich sehen Befürworter und Gegner auch die gesellschaftlichen Folgen. Katholische Bischöfe und Teile der evangelischen Kirchen befürchten, dass Druck auf Alte und Schwerstkranke ausgeübt wird: Du bist hier eigentlich nicht mehr erwünscht. Thierse verweist auf die Entwicklung in den Niederlanden. Dort würden inzwischen auch psychisch Kranke auf Wunsch getötet; dort sei Suizid bereits zur zweithäufigsten Todesursache geworden.

Ritter hält das für überzogen. "Man muss die Kirche im Dorf lassen", sagt er. "Im Jahr sterben in Deutschland circa 900.000 Menschen, zehn Prozent davon gehen den Weg des palliativ begleiteten Sterbens und 0,016 Prozent, bis 2015, sind den Weg des assistierten Suizids gegangen." Keiner werfe sein Leben einfach so weg.

Blick auf ökumenisches Miteinander

Jenseits konkreter politischer Fragen wirft die Debatte auch ein Licht auf das ökumenische Miteinander. Zwar liegen die Gräben diesmal nicht zwischen Katholisch und Evangelisch. Dennoch zeigt sich, dass gemeinsame Positionen in bioethischen Fragen immer schwerer zu formulieren sind.

Dann während die evangelische Ethik gesellschaftliche Realitäten stärker berücksichtigt, argumentiert die katholische Kirche eher mit überzeitlichen Vorgaben. Individuelle Selbstbestimmung hat darüber hinaus in der evangelischen Theologie einen deutlich höheren Stellenwert als in der katholischen Lehre. In ihrer Stellungnahme an Spahn warnen die katholischen Bischöfe denn auch vor einem rein individualistischen Verständnis "autonomer Selbstbestimmung". Der Mensch lebe demgegenüber immer in und aus Beziehungen.


Quelle:
KNA
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