DOMRADIO.DE: Wie sehr hat die Corona-Pandemie gezeigt und zeigt sie immer noch, dass Deutschland in einer solch großen Krise zu anfällig ist?
Alexander Suchomsky (Referent für Arbeit und Soziales beim Kolpingwerk Deutschland): Grundsätzlich hat die Corona-Pandemie alle Staaten auf dieser Welt unvorbereitet getroffen, und das gilt natürlich auch für Deutschland. Ich glaube, grundsätzlich ist Deutschland bisher recht gut durch die Corona-Pandemie gekommen, was mitunter natürlich auch einem sehr stabilen Gesundheitssystem geschuldet ist. Das ist erst mal positiv auf der Habenseite. Wir sehen ja auch, dass die Politik, die Bundesregierung und die Landesregierungen sehr aktiv sind und versuchen, auf die Pandemie zu reagieren.
Die Pandemie ist, wie das Kolpingwerk sagt, ein epochaler Einschnitt, der mit ganz vielen Umbrüchen gepaart ist, die wir in den letzten Jahren ohnehin schon erleben. Es stechen nochmal Dinge hervor, die vielleicht vorher nicht so ganz offensichtlich geworden sind. Wir haben die Globalisierung. Wir haben den demografischen Wandel. Wir haben die Herausforderungen durch die Digitalisierung.
Wir merken, dass uns da ein Stück weit auch etwas auf die Füße gefallen ist, bei dem wir vielleicht in den letzten Jahren nicht gut vorbereitet waren. Insofern appellieren wir als Kolpingwerk dafür, die Corona-Pandemie auch als Chance zu begreifen und auf diesem Weg ein Stück weit auch eine Zeitenwende einzuleiten.
DOMRADIO.DE: Sie fordern ein mutiges Handeln, um eine solche Zeitenwende herbeizuführen. Was steht da für Sie an erster Stelle? Was muss sich denn ändern?
Suchomsky: Grundsätzlich ist unser Appell an die Politik, nicht nur zu reagieren, sondern auch zu agieren, also die richtigen Schlüsse aus der Pandemie zu ziehen. Das sehen wir natürlich einmal im Gesundheitssektor, wo es auch um die Frage geht, wie Intensivkapazitäten auch jenseits einer gewissen Profitlogik dauerhaft auf hohem Niveau bereitgestellt werden können. Es geht um eine faire und vor allem bessere Entlohnung von Pflegekräften.
Aber auch wenn wir uns das Konjunkturpaket anschauen, ist für uns ganz entscheidend, dass sich die Investitionen am Zukunftspotenzial messen lassen müssen. Also: Wird auch in Zukunft stark in grüne Technologie investiert? Da geht es um Nachhaltigkeit. Wird mehr in Bildung investiert, in die digitale Infrastruktur? Grundsätzlich ist für uns entscheidend, dass jetzt nicht nur Wirtschaftssektoren gestützt werden, die immer schon gestützt wurden, sondern dass wir jetzt an die Zukunft denken und uns damit ein Stück zukunftsfest machen.
DOMRADIO.DE: Aber auch die Wirtschaft und insbesondere kleine und mittlere Unternehmen haben während des Lockdowns schwer gelitten und kommen jetzt nur schwer in die Gänge. Die Existenzangst ist unverändert groß. Muss trotzdem hier nicht das Hauptaugenmerk der Unterstützung liegen?
Suchomsky: Auf jeden Fall ist das ein wichtiges Hauptaugenmerk, gerade was die Unterstützung kleiner und mittelständischer Unternehmen betrifft, die ja den Großteil der Menschen in Deutschland beschäftigen. Aber es geht natürlich auch noch um andere Aspekte. Wir sehen ja gerade, dass Familien im Zuge der Corona-Pandemie doch ein Stück weit alleingelassen wurden. Sie waren auf sich gestellt.
Gerade im Bildungsbereich gilt es zu schauen, wie da noch einmal einiges verstärkt werden kann. Das Stichwort ist hier die digitale Bildung. Da gilt es, Schüler mit dem entsprechenden Equipment auszurüsten, um, falls eine solche Pandemie noch einmal auftreten sollte, einiges aufzufangen.
Klar ist ja auch, dass Familien stark unterstützt werden müssen. Familien bestehen aus Eltern, die arbeiten gehen, die wichtig sind - natürlich auch für Unternehmen, für Betriebe. Aber man merkt einfach an dieser Stelle, dass das alles Hand in Hand geht. Insofern muss man eigentlich die Herausforderungen, die sich durch die Corona-Pandemie stellen, ganzheitlich denken.
Unternehmen sind wichtig. Deswegen ist auch das Konjunkturpaket, das aufgelegt wurde, wichtig. Aber wir müssen auch in ganz anderen Bereichen schauen, dass die Gesellschaft nicht auseinanderdriftet. Hier geht es um die Verteilung von Risiken und Lasten. Die sind durchaus ungleich verteilt, und das zeigt sich im Rahmen der Pandemie noch einmal stärker.
DOMRADIO.DE: Diese Pandemie ist natürlich weltweit ein Thema. Deutschland alleine wird auch solch große Krisen wie Corona nicht meistern können. Wie sehr sind wir auf unsere Partner in Europa und in aller Welt angewiesen?
Suchomsky: Im Zuge der Corona-Pandemie zeigt sich ja noch mehr als zuvor, dass wir auf keiner Insel leben. Deutschland allein ist von neun Nachbarstaaten in Europa umgeben. Das macht natürlich deutlich, dass wir in Europa kooperieren müssen.
Ich denke, da hat sich einiges und vor allem auch innerhalb kürzester Zeit getan, wenn wir beispielsweise auf die Verhandlungen in Brüssel schauen, wo im Rahmen eines Gipfels ein Wiederaufbaufonds aufgelegt wurde und nicht wie im Rahmen der Eurokrise, wo es unzählige Treffen und Sitzungen gab. Das ist, glaube ich, ein sehr positives Signal, was noch einmal zeigt: In Europa rücken wir im Zuge der Pandemie ein Stück weit mehr zusammen.
Aber aus Sicht des Kolpingwerkes ist es entscheidend, da die richtigen Lehren zu ziehen und auch eine Art Automatismus zu entwickeln, einen Krisenmechanismus, der regelmäßig wirkt, wenn Krisen auftreten und nicht immer wieder neu ausgehandelt werden muss. Denn eins ist klar: Nur wenn wir als Europäerinnen und Europäer auf unserem eigenen Kontinent zusammenstehen, können wir auch auf internationaler Ebene Solidarität und Zusammenstehen einfordern.
Das Interview führte Carsten Döpp.