DOMRADIO.DE: Vergangene Woche hat der Rückzug von Kardinal Giovanni Angelo Becciu für Schlagzeilen gesorgt. Einer der engsten Papstberater hat nicht nur seinen Posten, sondern auch seinen Titel verloren. Ein sehr ungewöhnlicher Schritt, trotzdem äußert sich der Vatikan nicht zu den Hintergründen. Medien berichten über dubiose Finanzgeschäfte. Was, denken Sie, steckt dahinter?
Marco Politi (Journalist und Vatikanexperte): Der Papst hat hier die eiserne Faust zeigen wollen. Es soll niemanden im Vatikan geben, der unantastbar ist. Niemand, der so stark ist, dass er nicht zur Rechtfertigung gezogen werden kann. Das ist ein Signal für alle Stufen der vatikanischen Organisationsstruktur.
Natürlich wird der Papst kritisiert, weil in der Mitteilung zum Rückzug nicht viel drin steht, fast überhaupt nichts. Aber auch weil kein Prozess gegen Kardinal Becciu angestrebt wurde. Was jetzt aber Stück für Stück raus kommt, zeigt eine Situation, die völlig außer Kontrolle geraten ist. Es geht nicht nur darum, dass Becciu Fehlinvestitionen getätigt hat, also kein guter Verwalter der vatikanischen Geheimfonds war. Die italienische Presse spricht von Geldzuwendungen an einen Bruder, der eine wohltätige Einrichtung in Sardinien hatte. Ein weiterer Bruder, der eine Tischlerei hat, hat Aufträge bekommen für die Nuntiaturen in Kuba und Angola, wo Becciu tätig war.
Der dritte Skandal ist ganz besonders unangenehm. Der dritte Bruder, der eigentlich Psychologie-Professor an der Universität der Salesianer in Rom ist, betreibt nebenher eine Brauerei. Die hat von einem Ölkonzern in Angola Zuwendungen von 1,5 Mio. Euro bekommen, von denen 800.000 schon überwiesen sind, da man sich darüber Geschäfte mit dem Vatikan für Ölbohrungen erhofft hatte. Die Situation ist also sehr, sehr verfahren, und der Grundsatz des Papstes ist es ja, nie Dreck unter den Teppich zu kehren.
DOMRADIO.DE: Becciu sprach in einem Statement davon, dass Franziskus sein Vertrauen in ihn verloren habe. Der Kardinal war relativ enger Berater des Papstes, das erinnert ja ein wenig an die Affäre rund um den Kammerdiener von Papst Benedikt XVI. Welche Rolle spielen diese "Vertrauensverhältnisse"?
Politi: Es ist eine Tragödie in diesem Pontifikat. Becciu gehört dem Herzen der Regierung des Papstes an. Deswegen hat das der Papst natürlich als Vertrauensbruch empfunden. Deshalb hat er auch so hart reagiert. Der Papst hat ja schon zwei andere Kardinäle, O’Brien und McCarrick, aus dem Kardinalskollegium entfernt. Das waren zwei Kardinäle, die wegen Missbrauchsverbrechen in die Kritik geraten waren, die aber nicht der Regierung angehörten. In diesem Fall ist es jetzt also noch ernster.
DOMRADIO.DE: Es ist ernster, weil es nicht um Erzbischöfe irgendwo in der Weltkirche geht, sondern um die direkte Führung der Kurie?
Politi: Ja. Es zeigt, dass der Papst wahrscheinlich einen Fehler begangen hat, damals, als Kardinal Pell seinen Posten verloren hat. Pell hatte eine harte Linie eingeschlagen. Als Präfekt des vatikanischen Wirtschaftssekretariats hatte er den Auftrag, die Kontrolle der Finanzangelegenheiten von den verschiedenen Ämtern zu zentralisieren. Da ist Pell auf starken Widerstand gestoßen, auch von Kardinal Becciu. Dann musste Pell plötzlich nach Australien gehen, wegen des Missbrauchsprozesses, wo er vor kurzem als nicht schuldig befunden wurde.
Nachdem Pell weg war, hat Franziskus diese harte Linie in Sachen Finanzaufklärung nicht mehr weiter verfolgt. Erst jetzt, im Juli, hat er den Auftrag gegeben, dass alle Fonds in den verschiedenen Verwaltungen des Vatikans von einem Dikasterium namens APSA zentral verwaltet und kontrolliert werden müssen. Das ist die Verwaltung für die Güter des Heiligen Stuhls. Da sitzt ein Vertrauter des Papstes, Bischof Galantino.
DOMRADIO.DE: Kardinal Pell haben Sie gerade schon angesprochen, nach seinem Freispruch ist er gerade wieder das erste Mal nach Rom zurückgekehrt. Was bedeutet dieser Besuch jetzt? Was wird Pell ausrichten können?
Politi: Ich glaube das spielt keine große Rolle. Pell möchte politisch zeigen, dass er wieder nach Rom kommen kann, dass er keine verfängliche Person mehr ist.
Andererseits dürfen wir nicht vergessen: Die Kirche in Australien hat die ganze Affäre rund um Pell mit sehr viel Sorge und auch Leid verfolgt. Pell wurde ja zwei Mal verurteilt, erst das oberste Gericht des Landes hat ihn für unschuldig befunden, weil es nicht genügend Beweise für seine Schuld gab. Man darf nicht vergessen, dass er in seiner Vergangenheit als Erzbischof in Australien alles andere als hart gegen Priester vorgegangen ist, die sich des Missbrauchs schuldig gemacht haben.
DOMRADIO.DE: Pell wollte die Finanzen des Vatikans aufklären, Kardinal Becciu stand dem im Wege. Kann man da von einer Rivalität der beiden sprechen?
Politi: Pell wurde vom Papst scherzhaft immer "Der Ranger“ genannt, Er war also so eine Art harter Cowboy. Pell hatte nicht nur einen Konflikt mit Becciu, sondern mit vielen Leuten in der Hierarchie des Vatikans. Jahrhundertelang hat sich das Zentralsystem der Kirche zu so einer Art Feudalismus entwickelt. Jeder hatte in seinem Bereich seine kleine Macht, auch seine kleine Finanzmacht. Dem will Papst Franziskus ein Ende bereiten. Pell hatte in diesem Geiste angefangen, war vielleicht etwas undiplomatisch vorgegangen, aber die Linie war richtig. Alles muss zentralisiert sein, und alles muss klar und transparent laufen.
Einige sprechen jetzt auch von Verschwörungen, konspirativen Machenschaften. War der Prozess gegen Pell eine Art Rachefeldzug? Weil er mit der harten Finanzpolitik in den Vatikan gekommen ist? Andere sprechen von einer Verschwörung gegen Becciu. Das ist alles ein wenig märchenhaft. Es geht um reale Probleme und um das Aufeinanderprallen verschiedener Persönlichkeiten.
DOMRADIO.DE: Sie verfolgen schon lange den Vatikan und auch seine Finanzpolitik. Halten Sie es überhaupt für möglich, Transparenz in diese verfahrenen Strukturen zu bringen?
Politi: Man darf nicht vergessen, der Papst tut einiges. Das hatte schon Benedikt begonnen, Franziskus führt es nun zu Ende. Die Situation in der Vatikanbank zum Beispiel wurde ordentlich gesäubert. Mehr als 2.000 Konten wurde geschlossen. Es gibt nun eine strenge Kontrolle der Geldbewegungen in den Konten. Es ist auch nicht mehr möglich, dass Politiker oder Finanzmänner Konten bei der Vatikanbank haben.
Vor allem aber funktioniert nun eine Zusammenarbeit zwischen dem Vatikan und anderen Ländern und Institutionen. Da wurden Abkommen unterzeichnet, um Finanzdelikte zu verfolgen. Das gab es vorher nicht. Diese Aufklärungsarbeit muss jetzt nur auf andere Ebenen und Bereiche des Vatikans ausgeweitet werden.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.