Schnaufend stellt die alte Dame ihre Einkaufstasche ab und blättert lange in den ausgelegten Broschüren und Flyern. Wie auch sonst bei einer ausgiebigen Shoppingtour durch die Kölner Innenstadt macht sie um die Mittagszeit Rast im Domforum. Bei einer Tasse Kaffee will sie den anstrengenden Stadttag unterbrechen und nebenbei einen Blick in die Zeitung werfen. Bis zum Bahnhof, wo die 76-Jährige die S-Bahn zurück nach Hause nimmt, ist es nicht mehr weit. Aber ein wenig verweilen, ein freundliches Wort mit den Menschen hinter dem Tresen wechseln, sich über die neuesten Angebote und Aktionen informieren – auch in Corona-Zeiten, in denen das Programm zwangsläufig deutlich abgespeckt wurde – das gehört für die begeisterte Köln-Besucherin zu ihrem monatlichen Trip vom Land in die Großstadt immer mit dazu.
Nebenan packt eine Kita-Gruppe ihre Butterbrotdosen aus. Auch bei ihr steht heute ein Ausflug in die Rheinmetropole auf dem Programm. Die bunten Regenjacken haben die Kleinen achtlos über die Bänke geworfen. Ein wenig turbulent geht es zu; der Geräuschpegel mit viel Kinderlachen bringt unüberhörbar Leben in die Bude. Später fragt die Erzieherin bei ihren Schützlingen die wichtigsten Eindrücke ab. Schließlich sind die meisten von ihnen noch nie im Kölner Dom gewesen, so dass die Ausmaße dieses riesigen Gotteshauses für große Augen und anhaltendes Staunen sorgen. Und erst recht die Geschichte von den drei Königen, die in einem goldenen Schrein begraben liegen. Immer wieder rufen die Kinder durcheinander, wollen noch mehr über die drei Sterndeuter erfahren, die sie sonst nur aus Bilderbüchern mit der Weihnachtsgeschichte kennen.
Ein unaufdringliches Angebot en passant
In einer Ecke hat sich ein junger Mann mit zottigem Bart in seinen schon etwas in die Jahre gekommenen Mantel gekauert. Scheinbar teilnahmslos starrt er zum Fenster hinaus. Ohne Regung beobachtet er das Treiben auf der Domplatte. Hier will jemand für sich sein, seinen Gedanken nachhängen, nicht mit dem pulsierenden Treiben einer Millionenstadt überfordert werden. Wortlos macht er von seinem Recht auf Rückzug Gebrauch. Auch er hält in den leicht zitternden Händen eine Tasse Kaffee. Hier ist er geschützt vor Regen und pöbelnder Anmache auf der Straße. Eine knappe Stunde Geborgenheit, wenn man schon sonst keine Ansprüche mehr an das Leben hat – die findet er hier. Die Mitarbeiterinnen des Domforums haben genauso freundlich ein Auge auf ihn wie auch auf die anderen Gäste an diesem Tag und schicken ihm einen aufmerksamen Abschiedsgruß hinterher, als er immer noch schweigend das Haus mit seiner ausgebeulten Ledertasche über der Schulter wieder verlässt.
Offene Türen und Gastfreundschaft – ohne Fragen, ohne Ansprüche, ohne Absicht. Aber mit dem deutlichen Signal, hier sind Ansprechpartner, die Zeit haben: für ein offenes Ohr, eine Beratung oder auch nur einen kleinen Tipp. Das kennzeichnet das Kölner Domforum im Schatten der Domtürme mit Panoramablick auf die imposante Hauptfassade und an ihr vorbei auf den Roncalliplatz. Das Neben- und Miteinander von Menschen unterschiedlichster Generationen und Lebenskreise sei bewusst so gewollt, betont der Leiter der Einrichtung, Rainer Tüschenbönner. Als Besucherzentrum des Kölner Doms und als Informations- und Begegnungszentrum der katholischen Kirche 1995 von Erzbischof Kardinal Meisner sehr gezielt für die täglich vielen tausend Touristen, Passanten und Flaneure aus der Taufe gehoben, um ihnen en passant ein kirchliches, wenn auch unaufdringliches Angebot zu machen, war es immer schon von seiner Lage her ein Filetstückchen.
Der "Raum der Stille" gehört zu den etabliertesten Formaten
Inhalt und äußeres Erscheinungsbild stehen in Korrespondenz zueinander: Die hellen Steinplatten des weitläufigen Foyers setzen in ihrer diagonalen Ausrichtung die Linien der Fußbodenplatten auf dem Domvorplatz fort, so dass nur die großen Fensterfronten eine fast unmerkliche Abgrenzung zwischen dem Leben draußen und dem drinnen vornehmen. Programmatische Richtschnur des Konzeptes sind die Offenheit und "Durchsichtigkeit" des Ortes als ein Forum der Kommunikation. Über die Jahre ist das Gebäude zur zentralen Anlaufstelle für alle Dombesucher geworden und – gleich nach dem eigentlichen Protagonisten, dem Dom – zum Herzstück einer florierenden Citypastoral.
"Ich glaube, dass die Kirche der Stadt mit diesem Haus ein großes Geschenk gemacht hat", blickt Tüschenbönner auf 25 erfolgreiche Jahre in diesem Gebäude, das ehemals eine Bank beherbergte, zurück. Die durchweg positive Bilanz belegt er mit konkreten Zahlen: mittlerweile bis zu 9.000 Domführungen im Jahr, etwa 350.000 Gäste, über 1000 Beratungen und 450 thematisch angelegte Veranstaltungen in Form von Vorträgen, Konzerten, Ausstellungen oder Podiumsdiskussionen.
Darunter geradezu richtige Renner. Das "DomBibelForum", "Spiritualität im Gespräch" oder "Interreligiöser Dialog" gehören zu den Reihen, die immer Zulauf hätten, resümiert Tüschenbönner mit Blick auf sein hochmotiviertes Mitarbeiter- und Referententeam, das sich mit viel Kreativität aber immer auch Neues ausdenkt. Oder auch das Angebot eines "Raums der Stille" im Kellergeschoss, in dem viele Stammbesucher regelmäßig für eine vorübergehende Pause empfänglich sind, um der geschäftigen Betriebsamkeit ihres Alltags für kurze Zeit zu entkommen, gehöre zu den etabliertesten Formaten – mit überraschend großer Resonanz.
Tüschenbönner: als Kirchort unverzichtbar für Köln
"Die Kölner Innenstadt, in der wir uns mit unserer Citypastoral bewegen, ist so etwas wie ein Schmelztiegel. Nichts anderes ist letztlich auch der Treffpunkt Domforum. Hier kreuzen sich ebenfalls von morgens bis abends – zwischen Bahnhof und Einkaufsstraßen, Bankenviertel und Kirchen – ungeahnte Wege. Und wie oft münden eher belanglose Anfragen bei uns in intensive Gespräche über Gott und die Welt!", freut sich der Theologe, der gleichzeitig Leiter des Katholischen Bildungswerks im Haus ist, über die Tiefenwirkung dieses passageren Angebots. "Was sich manch einer nicht traut, in seiner Gemeinde anzusprechen, wird hier in der Anonymität der Situation preisgegeben – mit allen Fragen, die die Existenz des Menschen berühren. Leid und Enttäuschung genauso wie Trauer und Verlust." Die Beweggründe, sich zu öffnen, seien so vielfältig wie die Menschen selbst.
Immer sei etwas los – im Domforum. "Ein besonderer Kirchort eben, strotzend vor Vitalität, Lebensfreude und Christlichkeit", befindet Tüschenbönner. "Und mittlerweile unverzichtbar für Köln." Es gehe um Kultur, Politik, Religion, aber auch soziale Hilfen. Um Standpunkte, Annäherung und eine Sendung in die Welt hinein. Nicht um Ideologien oder vorsätzliche Missionierung. Über diesen niederschwelligen Ansatz bekämen hier viele Menschen ein überzeugendes Bild von Kirche vermittelt und davon, was diese 2000 Jahre alte Institution auch noch jenseits ihrer Skandale und Unzulänglichkeiten auszeichne. "Wir wollen erlebbar machen, welche Bedeutung das Evangelium und die Kirche haben, was uns selber trägt und leitet. Und dass wir an der Seite der Menschen stehen und über das, was sie beschäftigt, den Dialog mit ihnen suchen, ohne allzu offensiv gleich das kleine Jesulein aus der Tasche zu ziehen. Trotzdem machen wir klar, dass wir daraus unsere Hoffnung beziehen."
Ein Ort, wo Christus berührbar gemacht wird
Oft wunderten sich Besucher, was das für ein Haus sei – und zeigten sich zutiefst dankbar für die mitunter unvermuteten Impulse dieses Zwischenstopps. Denn die meisten seien ja unterwegs – von einem Ort zum anderen oder im übertragenen Sinn: auf der Suche nach Antworten hinter dem vordergründig Sichtbaren. "Da macht ein unbekannter Gesprächspartner eben schon mal mehr Mut, sich etwas von der Seele zu reden, als das mit Bekannten der Fall ist. Wir bieten eine Situation wie in einem Zugabteil, wo es unverbindlich und geschützt bleibt, zeigen aber Interesse am anderen, bringen Zeit mit und schaffen Anlässe für Gespräche", so der Leiter des Domforums.
Es sei der Gast, der das Maß von Nähe und Distanz bestimme. "Wir stecken nur die Rahmenbedingungen ab für Begegnung, Austausch, Kontakt und Hilfestellung, sofern diese gefragt ist. Die Weitervermittlung an die Schuldnerberatung, einen Psychotherapeuten oder Seelsorger inbegriffen." Das sei das Angebot der Kirche an die Menschen dieser Stadt, wo Berber und Pelzmantel gleichermaßen Platz nebeneinander hätten.
"Das Domforum ist ein Ort, wo Christus berührbar gemacht wird, wo Zuhören selbstgewähltes Motto ist und wir uns an den Bedürfnissen der Menschen orientieren. Es ist eine Oase inmitten von Hektik, ein Ruhepol im Großstadtgetümmel und ein Obdach für Leib und Seele." Vor allem sei es ein pastorales Experimentierfeld, das mit 25 Jahren längst erwachsen geworden sei und nun fest auf eigenen Füßen stehe. Tüschenbönner unterstreicht: "Trotzdem treibt uns bis heute vor allem die Frage um, wie wir die Menschen mit ihren Sehnsüchten erreichen."