Viele Weihnachtsmärkte in Deutschland vor dem Aus

Eine Chance für die Kirchen?

Eine alte Tradition im Wandel: Weihnachtsmärkte haben in den vergangenen Jahren einen Boom erlebt - der auch terroristischen Anschlägen trotzte. Jetzt stellt die Corona-Krise die Veranstalter vor neue Herausforderungen.

Ein junges Paar bummelt über einen Weihnachtsmarkt / © StockLite (shutterstock)
Ein junges Paar bummelt über einen Weihnachtsmarkt / © StockLite ( shutterstock )

Christkindlesmarkt in Nürnberg? Abgesagt. Die beliebten Märkte am Kölner Dom und in der Altstadt? Fallen dem Virus zum Opfer. Mancherorts stehen die Märkte auf der Kippe - etwa beim berühmten Striezelmarkt in Dresden. Glühwein, Bratwurst und Krippenspiele werden im günstigsten Fall mit strenger Maskenpflicht zu genießen sein. Gemütlichkeit mit großen Abstrichen.

Ein schwerer Schlag für die fast 3.000 Weihnachtsmärkte von Flensburg bis Garmisch - und für die Branche der Schausteller. Schon im Sommer sind ihnen die Einnahmen aus Volksfesten weitgehend weggebrochen. Jetzt drohe vielen das Aus, sagt der Präsident des Deutschen Schaustellerbundes, Albert Ritter. Den Bruttoumsatz bei Weihnachtsmärkten schätzt der Verband auf 2,9 Milliarden Euro pro Jahr.

Weihnachtsmärkte sind willkommene Ablenkung in der Pandemie

Kein Wunder, dass der Schaustellerbund Städte und Kommunen vergangene Woche aufgefordert hat, an den Weihnachtsmärkten festzuhalten. Frischluft sei garantiert: Sie fänden unter freiem Himmel statt; die AHA-Regeln könnten ebenso befolgt werden, hieß es in einer Machbarkeitsstudie. Die Menschen sehnten sich angesichts der Corona-Krise nach Ablenkung, Erholung und Gemeinschaftserlebnissen.

Dabei waren die Weihnachtsmärkte schon in den vergangenen Jahren schwer gebeutelt: Spätestens seit dem Anschlag vom Berliner Breitscheidplatz 2016 mussten sich die Veranstalter mit Betonsperren und vermehrtem Einsatz von Sicherheitspersonal befassen. 2018 gab es einen weiteren Anschlag auf den Straßburger Weihnachtsmarkt; 2017 wurden Pläne von Islamisten für einen Anschlag auf den Essener Weihnachtsmarkt aufgedeckt. Weihnachtsmärkte als Festungen: Sie gelten bei Experten als besonders verletzlich, weil sie nur schwer zu schützen sind und solche Taten maximales Entsetzen garantieren.

Eine alte Tradition

Trotz allem: Die Besucherzahlen blieben hoch. Nach Schätzungen wurden Weihnachtsmärkte jährlich von 160 Millionen Menschen besucht. Die Menschen wollten in eine romantische Welt eintauchen, die mit positiven Kindheitserinnerungen, Hoffnungen und Gemütlichkeit verbunden sei, sagte der Hauptgeschäftsführer des Schaustellerbunds, Frank Hakelberg.

Vorweihnachtliche Märkte gibt es seit dem späten Mittelalter. Im 14. Jahrhundert kam der Brauch auf, Spielzeugmachern, Korbflechtern oder Zuckerbäckern zu erlauben, Verkaufsstände für Dinge zu errichten, die die Kinder zu Weihnachten geschenkt bekamen. 1310 wurde ein Nikolausmarkt in München erstmals urkundlich erwähnt, 1434 der Dresdener Striezelmarkt. Der Nürnberger Christkindlesmarkt lässt sich bis Mitte des 16. Jahrhunderts zurückverfolgen.

Christliche Motive spielen kaum noch eine Rolle

"Der Weihnachtsmarkt ist zum Massenphänomen geworden, dem man kaum mehr entrinnen kann", betont der Regensburger Kulturwissenschaftler Gunther Hirschfelder mit Blick auf den Boom, der in den 60er Jahren begann. Er erklärt das damit, dass die Menschen auch im Zeitalter des Individualismus nach Gemeinschaft und Gruppenerlebnissen suchten.

Dabei haben sich die Märkte deutlich verändert: Sie wurden lauter, bunter und globalisierter. Christliche Motive spielen kaum noch eine Rolle: "Die Krippe steht neben dem Rentier und der Apres-Ski-Hütte", sagt der Wissenschaftler. Aus Weihnachten wird erst Christmas, dann X-Mas. Und aus dem Nikolaus der Weihnachtsmann, das russische Väterchen Frost oder gleich ein gemütlicher Bär mit Zipfelmütze. "Die heutige Dekoration ist eine Mischung aus Fantasyroman, Ikea und Landlust", sagt Hirschfelder. "Ein Kirchturm im Hintergrund schadet nicht."

Woelki: Chance auf Rückbesinnung

Entstanden seien Weihnachtsmärkte vor allem in protestantischen Städten, weiß der Kulturwissenschaftler. In katholischen Gegenden habe man bis weit in das 20. Jahrhundert hinein kaum Speisen anbieten können, weil der Advent als Zeit des Fastens begangen wurde.

Schon möglich, dass die Saison 2020 als Zeit des Weihnachtsmarkt-Fastens in die Geschichte eingehen wird. Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki sieht darin auch eine Chance auf Rückbesinnung auf die religiösen Wurzeln der Adventszeit. Gemeinden könnten stattdessen auf den Plätzen Adventsveranstaltungen wie Gebetsfeiern, Chordarbietungen und Gespräche anbieten. So ließe sich zeigen: "Gott lässt die Welt und die Menschen nicht allein."


Quelle:
KNA