Ruandas künftiger Kardinal zu Versöhnung und Ausbeutung

"'Fratelli tutti' kam für uns zur richtigen Zeit"

Antoine Kambanda, der Erzbischof von Kigali in Ruanda, ist einer von 13 von Papst Franziskus neu ernannten Kardinälen. Im Interview spricht er über seine neue Würde, über Versöhnung in Ruanda und irritierende Papstworte.

Antoine Kambanda, Erzbischof von Kigali / © Paul Haring (KNA)
Antoine Kambanda, Erzbischof von Kigali / © Paul Haring ( KNA )

KNA: Ist die Ernennung für Sie eher Anlass zur Freude oder zur Sorge?

Erzbischof Antoine Kambanda (Erzbischof von Kigali und ernannter Kardinal): Eine Mischung aus Überraschung, Freude und Schock. Ich frage mich, was der Papst von mir will.

KNA: Was meinen Sie?

Kambanda: Kardinäle sollen ihn bei der Leitung der Kirche beraten. Dazu soll ich wohl beitragen, vielleicht bei Frage der Evangelisierung.

KNA: Braucht der Papst in Rom mehr Stimmen aus Afrika? Werden Sie dort genug gehört?

Kambanda: Afrikas Kirche ist noch jung. Wir müssen einerseits noch lernen von den alten Kirchen. Gleichzeitig sollen wir unsere eigenen Erfahrungen als junge Kirche teilen.

KNA: Was können Sie Europäern beibringen?

Kambanda: Es geht nicht ums Beibringen, sondern ums Teilen; teilen, was du bist und tust. So können Schwesterkirchen lernen: durch Best-Practice-Beispiele, die man austauscht und für sich adaptiert. Im Süden wie im Norden haben wir das gemeinsame Problem, dass Gott und Religion aus dem privaten wie dem sozialen Leben verdrängt werden. Zwar hat Afrika eine stark religiöse Kultur und Mentalität, aber die wird oft übertrieben in Richtung Aberglaube. So etwas gibt es auch in Europa. Gleichzeitig schwappen von dort säkulare Tendenzen nach Ruanda. Die dritte Herausforderung sind die neuen Freikirchen, die den Glauben verwässern oder traditionelle Formen verachten.

KNA: Sie selbst, Ihre Familie waren schwer vom Völkermord in Ruanda 1994 getroffen. Wie lesen Sie die Enzyklika "Fratelli tutti", die Geschwisterlichkeit aller Menschen und Versöhnung fordert?

Kambanda: Das Schreiben des Papstes kam zur richtigen Zeit für die Kirche in Ruanda. Sie hilft, die Versöhnungsbemühungen der vergangenen 26 Jahre zu verstärken. Es war und ist für die Kirche eine große und schwierige Aufgabe, das soziale Gewebe wieder zu einen und zu reparieren. "Fratelli tutti" kommt zum Ende unseres Versöhnungsjahres, das wir 2019 begonnen haben, 25 Jahre nach dem Genozid. Dabei geht es um Versöhnung mit Gott, miteinander und mit sich selbst. Viele Menschen tragen seelische Verletzungen. Versöhnung kann anderen nur anbieten, wer mit sich selbst im Frieden und versöhnt ist.

KNA: Hat der Papst Sie auch zum Kardinal ernannt, weil Sie dafür ein Vorbild sind?

Kambanda: Nicht ich persönlich. Ich sehe die Ernennung mit Blick auf unsere ganze Gemeinschaft, was diese an Arbeit geleistet hat: auch all die anderen Bischöfe, Priester, Ordensleute, Laien - alle. Ich stehe für sie - aber der Heilige Vater hat die ganze Gemeinschaft im Blick, die völlig zerstört war und aus der Asche komplett neu aufgebaut werden musste.

KNA: Was steht bei der Versöhnungsarbeit noch aus?

Kambanda: Vor allem muss die junge Generation vorbereitet werden, die den Schrecken nicht selbst miterlebt hat. Nur so kann das Erbe weitergehen, das wir aufbauen. Wir tun viel im Bildungssektor. Sie kennen vielleicht das chinesische Sprichwort: Für ein Projekt von einem Jahr pflanzt man Reis, für eines von zehn Jahren pflanzt man einen Baum. Wenn du etwas für 100 und mehr Jahre tun willst, erziehst und bildest du einen jungen Menschen. Das müssen wir tun.

KNA: Etwas ganz anderes: Sie haben die Debatte um eine Äußerung von Papst Franziskus über homosexuelle Partnerschaften mitbekommen. Was sagen Sie dazu?

Kambanda: Ich weiß nicht recht. Entweder wurde das falsch übersetzt oder erfunden. Der Papst kann nicht etwas sagen, was gegen die Lehre der Kirche steht. Die Ehe von Mann und Frau und Familie sind eine göttliche Einrichtung, keine menschliche Erfindung. Was Gott eingerichtet hat, können wir nicht ändern. Vielleicht können wir es mit der Zeit anders verstehen und etwas anders umsetzen. Aber die Lehre an sich bleibt unverändert.

KNA: In Europa herrschen mitunter abstruse Vorstellungen über Religiosität in Afrika. Wie verhalten sich indigene, naturreligiöse Traditionen und der christliche Glaube zueinander? Wie mischen sie sich?

Kambanda: Es geht nicht darum, dass diese sich mischen. In unserer Kultur gibt es viele Werte und Traditionen, die nicht geändert werden müssen. Vielmehr können sie in den christlichen Glauben integriert und auf diese Weise sogar aufgewertet werden. Wenn ein Afrikaner auf einen Baum oder einen Felsen schaut, dann sieht er nicht nur die physische Erscheinung, sondern auch den spirituellen Wert dahinter und wer all dies geschaffen hat.

KNA: Im Sinne von "Laudato si"?

Kambanda: Genau. Die Schöpfung hat ihre eigene Würde. Man darf sie nicht manipulieren, nicht zerstören. Wir müssen die Absicht des Schöpfers respektieren. In der traditionellen Religiosität bringen all diese Dinge den Menschen auch in Kontakt mit der geistlichen Welt. Als Christ kann ich diesen Sinn, diesen Respekt beibehalten und weiterentwickeln. Daher haben Afrikaner auch kein Problem, hinter der konsekrierten Hostie eine andere Wirklichkeit zu sehen.

KNA: Wir sind gerade in der Schweiz. Aktuell gibt es hier eine sogenannte Konzernverantwortungsinitiative für ein Lieferkettengesetz. Es soll internationale Unternehmen dazu bringen, in Herkunftsländern ihrer Rohstoffe bessere soziale und ökologische Standards einzuhalten. Ist so etwas nötig?

Kambanda: Das ist ein sehr komplexes Thema. Papst Johannes Paul II. sprach in seiner Enzyklika "Sollicitudo rei socialis" von "struktureller Sünde". In meiner Doktorarbeit habe ich mich damit befasst. Man kann zu Ausbeutung beitragen, eine Sünde begehen, ohne sich dessen bewusst zu sein. Man kann mit reinem Gewissen zu Hause sitzen und trägt doch dazu bei, dass Menschen verletzt oder Natur zerstört wird. Durch die Globalisierung wird es erst recht kompliziert. Dazu habe ich Untersuchungen zu "fairem Handel" angestellt. Produzenten von Kaffee oder anderem erhalten für ihre Arbeit einfach nicht den Preis, den sie verdienen. Das muss sich ändern.

Das Interview führte Roland Juchem.


Quelle:
KNA
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