40 Jahre Jesuiten-Flüchtlingsdienst

"Wir brauchen einen langen Atem"

"Dass es uns noch geben muss, ist schade, dass es uns noch gibt, ist ein Grund zum Feiern": Vor 40 Jahren wurde der Jesuiten-Flüchtlingsdienst gegründet, um Bootsflüchtlingen aus Vietnam zu helfen. Seit 25 Jahren gibt es ihn auch in Deutschland.

Jesuiten-Flüchtlingsdienst in Aleppo, Syrien, 2018 / © Jean-Matthieu Gautier (KNA)
Jesuiten-Flüchtlingsdienst in Aleppo, Syrien, 2018 / © Jean-Matthieu Gautier ( KNA )

DOMRADIO.DE: Bruder Müller, wie begehen Sie die beiden Jubiläen in diesem von Corona dominierten Jahr?

Bruder Dieter Müller (Jesuit beim Jesuiten-Flüchtlingsdienst): Wir mussten natürlich alles absagen, alle face-to-face Treffen. Und jetzt gibt es eben ein Online-Meeting heute, das vom internationalen Büro organisiert wurde. Aber wir in Deutschland versuchen das natürlich nachzuholen. Nächstes Jahr - mal sehen. Wir haben ja das Motto: "Dass es uns noch geben muss, ist schade, dass es uns noch gibt, ist ein Grund zum Feiern".

DOMRADIO.DE: Da haben Sie Recht. Damals, als alles begonnen hat, haben Sie sich besonders für die Flüchtlinge aus Vietnam eingesetzt. Wie haben sich die Schwerpunkte Ihrer Arbeit in den vergangenen 40 Jahren verändert?

Br. Müller: Naja, in Deutschland wurde das Büro 1995 gegründet. Und wir haben uns von Anfang an sehr auf den Bereich Abschiebung konzentriert. Hinzu kamen dann Härtefallberatung, Sozialberatung, Kirchenasylberatung. Seit vier Jahren sind wir auch in einer Münchner Unterkunft in der Asylsozialberatung tätig. Damit haben wir auch eine Klientel, die eine Bleibeperspektive hat, während wir sonst eher die Gruppen beraten und begleiten, die schon kurz vor der Abschiebung stehen. So versuchen wir in der großen Debatte Integration, Partizipation, mitzureden, insbesondere durch die Beratung in der Münchner Unterkunft.

Weltweit hat sich das natürlich auch verschoben. Das kann man in den Nachrichten auch nachlesen. In den letzten Jahren ist der Mittlere Osten zu einem Hauptkrisenherd geworden - auch Venezuela oder der Südsudan und Myanmar. Während es vielleicht vor 20 Jahren eher einzelne afrikanische Länder waren, die auch heute noch Krisenherde sind, ist heute der Mittlere Osten der Hauptkrisenpunkt. Die größte Gruppe der Flüchtlinge in Europa sind ja auch Syrer und Afghanen.

DOMRADIO.DE: Jetzt gab es immer schon Flüchtlinge. Aber seit 2015  gibt es hier in Deutschland nochmal eine neue Situation. Sehr, sehr viele Flüchtlinge sind gekommen. Wie ist denn aus Ihrer Perspektive der derzeitige Stand für die Flüchtlinge, die zurzeit hier sind?

Br. Müller: Erstmal muss man sagen, es kommen gar nicht mehr so viele. Die sogenannte Flüchtlingsproblematik ist eigentlich keine mehr. Es wurden Gesetzesverschärfungen durchgesetzt, die wir stark kritisieren. Es sind im ersten halben Jahr dieses Jahres nur noch etwa 50 000 Menschen gewesen. Im Vergleich dazu waren es 2016 achtmal so viele.

Wir versuchen natürlich weiterhin vor allem Rechtshilfe zu geben, also den Leuten ein faires Verfahren zu ermöglichen. Da arbeiten wir mit Anwälten zusammen. Hier in Bayern insbesondere mit einem Spezialisten für Abschiebehaft. Kirchenasyl ist auch noch nach wie vor ein Thema. Da geht es um die Dublin-Verordnung, die letztlich ein unfaires System zur Verteilung von Flüchtlingen festlegt - wie Sie wissen, ist das Ersteinreiseland immer zuständig. Das sind natürlich dann die Randstaaten.

Und seit Moria wissen wir ja, dass die Asylstandards und auch die sozialen Standards in den europäischen Mitgliedsstaaten höchst unterschiedlich sind. Durch Kirchenasyl versuchen wir, den Menschen ein faires Verfahren in Deutschland zu verschaffen, damit sie eben nicht diese Asyl-Lotterie durchlaufen müssen. Die Dublin-Verordnung ist eine grausame Asyl-Lotterie.

DOMRADIO.DE: Wie schwierig oder ermüdend ist denn dieser Kampf, den Sie da führen? Vor allen Dingen der Kampf für die Flüchtlinge, aber auch der Kampf gegen unsere Bürokratie und Rechtsprechung?

Br. Müller: Wir brauchen einen langen Atem. Seit 20 Jahren mache ich die Arbeit. Ich bin immer noch einigermaßen motiviert, weiterzumachen. Es gibt ja auch immer wieder Erfolgserlebnisse. Wir haben Muster-Entscheidungen durchgesetzt, beispielsweise, dass die Abschiebehäftlinge nicht mehr in Strafanstalten festgehalten werden dürfen. Und auch im Bereich Kirchenasyl haben wir mittlerweile höchstrichterliche Rechtsprechungen, die Kirchenasyl als solches nicht angreifen und auch keine Verlängerung der Frist erlauben. Es gibt Erfolgserlebnisse.

Aber was mir immer wieder durch den Kopf geht: Wir kämpfen nicht nur für den Einzelfall, wir kämpfen letztlich auch für unseren Rechtsstaat. Denn wir sehen viele graue Schatten im Bereich der Flüchtlingspolitik innerhalb unseres Rechtsstaates.

Unser Spezialist für Abschiebehaft hat seit 2001 2000 Mandate gehabt, in der Hälfte dieser Mandate wurde die Abschiebehaft nachträglich oder während des laufenden Verfahrens als rechtswidrig festgestellt. Er musste aber immer durch mehrere Instanzen gehen. Das heißt, die unteren Gerichte haben oft falsch geurteilt. Und da geht es immerhin um den Entzug von Freiheit - eines Grundrechtes.

Das Interview führte Martin Mölder.


Quelle:
DR
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