Dicke Tränen laufen dem Sohn über die Wangen: Er darf nicht mit seinem Freund spielen, weil ein anderer Junge schon bei ihm war. So wollen es die Corona-Regeln. Für Familien gab es im zuende gehenden Jahr viele Situationen, die zum Heulen waren. "Der Alltag hat für Familien im Normalfall schon viele Herausforderungen und die Corona-Krise hat nun noch ordentlich mehr auf die Schultern geladen", erklärt Andrea Schütt, Geschäftsführerin des Familienbundes der Katholiken in Paderborn.
"Viele Familien haben sich sehr an die unterstützenden Angebote gewöhnt. Kindergarten, Schule, Freizeitangebote - jedes Mitglied hat auch sein eigenes Leben und es ist im Alltag nicht immer alles auf das Versorgen der Familie ausgerichtet", weiß der ehrenamtliche Präsident des Regionalverbands in Ostwestfalen, Elmar Dransfeld.
Corona hat nun auch im zweiten Lockdown all dies wegfallen lassen.
Kardinal Marx: "Volle Bewunderung"
Viele Familien haben laut Dransfeld im Frühjahr zwar teils von einer schönen Zeit gesprochen, aber auch für diejenigen kam es zu Belastungen. "Viele sagten dann: Jetzt brauche ich mal wieder Zeit für mich. Von Vorteil war es sicher, wenn es dann Rückzugsmöglichkeiten gab - wie Garten, Balkon oder das eigene Kinderzimmer." Das Homeschooling stellte eine zusätzliche Belastung dar: Insbesondere bei Familien aus prekärem Umfeld kann dies dazu führen, dass die Kinder zunehmend abgehängt werden.
Dreifach-Mutter Eva Franken aus dem nordrhein-westfälischen Bad Münstereifel hat trotz Einfamilienhaus und Garten viel zu "jonglieren", wie sie sagt. "Mein Mann hat seine Home-Office-Zeit teils nach den Schlafenszeiten des Kleinen gerichtet", so die leitende Physiotherapeutin an einer Förderschule. Zudem mussten die beiden Großen beim Homeschooling betreut werden - und im Herbst der an Corona erkrankte Vater.
"Volle Bewunderung" für die Leistung der Familien in der Krise bekundete der frühere Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, zuletzt in einem Magazin-Beitrag. Zusätzlich zur allgemeinen Anspannung müssten vielerlei Enttäuschungen verkraftet werden. "Vieles, was das Familienleben sonst ausmacht, wurde abgesagt oder verschoben, angefangen mit den normalen 'Highlights' des Alltags wie Geburtstagsfeiern oder auch Mittagessen mit den Großeltern", so der Münchner Erzbischof.
Bei Frankens wurde das bei der Einschulung der Tochter deutlich. "Anni hat gesehen, wie es letztes Jahr beim Bruder Paul war, und bei ihr ging es dieses Jahr nur mit Maske und ohne Großeltern. Das hat sie schon gespürt", sagt die 39-Jährige. "Das geht einem dann sehr nahe."
Zwar müssen Jugendliche meist nicht von den Eltern betreut werden, aber auch sie traf die Pandemie hart. Die Zeit mit Gleichaltrigen zu verbringen, mache das Jugendlich-Sein aus und sei wichtig für die Entwicklungsphase, betont Dransfeld: "In einigen Lebensphasen sind diese Peergroups für viele Jugendliche wichtiger als die Eltern. Früher waren sie oft und gerne in der digitalen Welt unterwegs; jetzt haben sie die reale Welt wieder schätzen gelernt."
Zehn-Punkte-Plan mit Empfehlungen für die Politik
Der Bundesverband hat einen Zehn-Punkte-Plan mit Empfehlungen für die Politik erarbeitet. Schütt sieht die Forderung nach einem Familiengipfel als besonders wichtig an. "So würde die Familie politisch in den Vordergrund rücken", betont sie. Andere Forderungen seien ein Corona-Elterngeld oder mehr Krankheitsausfalltage. Auch Kardinal Marx kritisiert: "Schon vor der Corona-Pandemie war die Parole 'Familien sind das Rückgrat unserer Gesellschaft' gerne und oft zu hören. Allerdings wirkt sie auf Familien angesichts ihrer Herausforderungen bisweilen wie eine leere Phrase, die nichts kostet und gut klingt."
Mehrfachbelastung, Jobsorgen, Ängste vor einer Erkrankung: "Es kann großes Konfliktpotenzial entstehen, weil die Nerven blank liegen", so Familien-Expertin Schütt. Streit gehöre auch unter Eltern dazu und Kinder bekämen dies in der Krise häufiger mit. Nun komme es darauf an, "den Kindern deutlich zu machen, dass es unterschiedliche Meinungen gibt und diese in einem entsprechenden Rahmen auch geäußert werden dürfen". Kinder sähen Streit zwischen ihren Eltern als Bedrohung und darauf müsse eingegangen werden.
Schütt stellt fest, dass das Jahr den Familien gezeigt habe, wie wertvoll manche Dinge seien. "Eigentlich alltägliche Dinge wie im Sportverein aktiv zu sein oder mit der Familie schwimmen zu gehen, werden plötzlich ganz neu bewertet", sagt sie. Deswegen sei es dem Familienbund wichtig gewesen, mit kreativem Einsatz der Mitarbeiter Veranstaltungen trotz Corona-Beschränkungen anzubieten.
Auch die Winterferien sind mit Verzicht verbunden. "Normalerweise ist Weihnachten eine Zeit, in der Familien auch zur Ruhe kommen", so Schütt. Es fehle "hier wieder eine dringend benötigte Möglichkeit für Familien, ihre Akkus wieder aufzuladen". Die Familien seien am Limit.
Kollege Dransfeld richtet den Blick vorsichtig nach vorn: "Bei allem, was jetzt schwierig ist, ist die Erfahrung aus dem vergangenen Jahr, dass es einen Silberstreif am Horizont gibt: Im Frühjahr können wir wieder raus. Erwachsene und Kinder werden dann wieder was zum Austoben haben."