DOMRADIO.DE: Welche Bedeutung hat denn der Ausgang der Stichwahl in Georgia für den US-Senat?
Prof. Godehard Brüntrup (Jesuit und USA-Kenner): Die amerikanische Demokratie hat zwei Häuser, so wie das bei uns auch ist, mit dem Bundestag und Bundesrat. Und um wirklich regieren zu können, braucht man eigentlich die Mehrheit in beiden Häusern.
Hier geht es um das Entsprechende, vielleicht zum deutschen Bundesrat, wo es ganz knapp ist und bisher die Partei der Demokraten, des neu gewählten Präsidenten Biden, knapp in der Minderheit ist. Und sie könnten es heute schaffen ganz knapp mit einer Stimme die Mehrheit zu kommen.
DOMRADIO.DE: Das bedeutet, wenn sich die Prognosen wirklich bestätigen und auch die zweite Stichwahl ähnlich ausgeht, dann kann Joe Biden, sagen wir mal, durchregieren und der Senat wird seine großen Wahlkampfversprechungen mit vorantreiben?
Brüntrup: Er wird es sicher einfacher haben, seine Projekte durchzusetzen. Allerdings mit einer so knappen Mehrheit und es gibt ja auch Unabhängige im Senat. Es wird also auch nicht so einfach sein, immer eine Mehrheit zu gewinnen und er wird dann auch unter Druck geraten, vom linken Flügel der Partei, radikalere Reformvorhaben etwa in der Umweltpolitik oder in der Einwanderungspolitik durchzusetzen, die die Partei die nächsten Wahlen in zwei Jahren kosten könnten, da die Amerikaner wirklich auch eher in der Mitte orientiert sind und einen Linksrutsch der Demokraten nicht mitmachen würden.
Also es hat für ihn Vorteile. Es kann aber auch gefährlich werden, dass die Partei dadurch zu weit nach links rutscht und sich das in zwei Jahren negativ auswirkt.
DOMRADIO.DE: Man muss ja wirklich insgesamt sagen: Amerikas Gesellschaft ist gespalten. Wäre es da vielleicht sogar gut, wenn der Senat republikanisch geprägt bleiben würde, um die Wogen zu glätten?
Brüntrup: Amerika ist wirklich in einer Art kaltem Bürgerkrieg. Es steht da jetzt auch wieder auf Messers Schneide. Es geht dann um wahrscheinlich weniger als ein halbes Prozent. Wir werden wahrscheinlich auch noch mal ein zweites Mal zählen müssen aus diesen Gründen. Und die beiden Lager stehen sich unerbittlich gegenüber.
40 Prozent der Amerikaner glauben, dass die Präsidentschaftswahl nicht fair war, dass da im großen Stil betrogen wurde. Die Lager stehen sich also unerbittlich gegenüber. Und von daher wäre es eventuell sogar gut gewesen, wenn man über den Senat immer nach Kompromissen hätte suchen müssen, anstatt dass die Lager sich weiterhin so gegenüberstehen.
DOMRADIO.DE: Heute soll bei einer gemeinsamen Sitzung von Repräsentantenhaus und Senat das Wahlergebnis endgültig bestätigt werden. Auch da erwartet man jetzt Unruhen. Was erwarten Sie?
Brüntrup: Von außen gibt es Kundgebungen der Trump-Befürworter, innerhalb des Kongresses gibt es eine Gruppe von Abgeordneten und Senatoren, die ähnlich wie 1876/77 bei der Wahl, wo auch der Vorwurf im Raum stand, dass nicht alles mit rechten Dingen zuging, diese Frage noch mal prüfen wollen. Sie wollen zehn Tage lang eine Kommission einsetzen, die all den Vorwürfen, dass die Wahlrechtsänderungen, die zum Erfolg von Biden geführt haben, nicht verfassungsgemäß waren, nachgehen soll. Sie soll die Vorwürfe, die die Republikaner vorbringen, noch mal prüfen und dann erst nach zehn Tagen das Ergebnis vorstellen, rechtzeitig vor dem Amtsantritt von Biden.
Ich glaube nicht, dass das eine Mehrheit findet. Aber es hätte durchaus auch etwas für sich, dass man diese Frage noch mal offiziell klärt, weil dann die Legenden vielleicht weniger im Raum stehen könnten. Also das wird der Punkt sein, der noch zu diskutieren sein wird heute.
Das Interview führte Verena Tröster.