Sie gehören zur Jahreswende wie die Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten und die Vier-Schanzen-Tournee: Alljährlich werden von November bis Februar prägende Worte des Jahres gekürt. Ein amüsantes Spiel, das gelegentlich sogar politische Debatten auslöst und auch Laien über die Macht der Worte nachdenken lässt. Am Dienstag kürte eine Jury den Begriff "Lockdown" zum "Anglizismus des Jahres".
Auszeichnungen für Worte und Sätze
Gab es zunächst nur das "Wort des Jahres" und das "Unwort des Jahres", so haben Sprachforscher und Verlage inzwischen den Reiz solcher Auszeichnungen entdeckt. Mittlerweile gibt es auch "den Satz des Jahres" und sogar den "Sprachpanscher des Jahres". Ist die Auswahl gelungen, spiegelt sich in ihr ein wichtiges Charakteristikum des jeweiligen Jahres. In diesem Jahr ist Corona ziemlich dominant.
Sprache ist nicht neutral. Sie leitet die Erkenntnis - das hat vor mehr als 70 Jahren schon der Dresdner Sprachwissenschaftler Victor Klemperer betont. In seiner 1947 veröffentlichten Studie über die Sprache des Dritten Reiches, die "Lingua Tertii Imperii" (LTI), demaskierte Klemperer die Sprache der Nazis, die letztlich das Denken durch das Fühlen und durch stumpfe Willenlosigkeit zu ersetzen suchte.
Wort und Unwort des Jahres
In der Tradition Klemperers steht das "Wort des Jahres", das die Gesellschaft für deutsche Sprache seit 1977 kürt. Im Dezember machte der Begriff "Corona-Pandemie" das Rennen. Und schon in dieser Rangliste war "Lockdown" ganz vorn - nämlich auf Rang zwei. Auf Platz drei folgte "Verschwörungserzählung".
Zum "Unwort des Jahres" wurden Mitte Januar die Begriffe "Rückführungspatenschaften" und "Corona-Diktatur" gekürt. Ziel der Jury ist es, "mehr Verantwortung im sprachlichen Handeln" zu wecken. Die Rangliste der Unwörter wird seit 1991 veröffentlicht - zunächst ebenfalls von der Gesellschaft für deutsche Sprache. 1994 kam es zum Konflikt mit Kanzler Helmut Kohl: Die Jury um Sprachwissenschaftler Horst Dieter Schlosser platzierte eine Kohl-Äußerung auf den zweiten Platz: Deutschland dürfe nicht zum "kollektiven Freizeitpark" verkommen. Schlosser nahm seinen Hut und übertrug die Entscheidung an eine unabhängige Jury.
Mittlerweile gibt es noch mehr Listen. Seit 2001 wird auch der "Satz des Jahres" gesucht, von einer Jury um den Hohenheimer Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider. Auf das Siegertreppchen 2020 hat es der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Heinrich Bedford-Strohm, geschafft: "Hass ist keine Meinung", so hatte er in einem Interview auf Morddrohungen reagiert, die er wegen seines Engagements für die Seenotrettung von Flüchtlingen erhalten hatte. Aus Sicht der Jury bringt der Satz ein zentrales gesellschaftliches Thema auf den Punkt, nämlich die Zunahme von Hassrede in sozialen Medien und bei Demonstrationen.
Mit der Einwanderung von Fremdworten ins Deutsche befassen sich gleich zwei Initiativen: Seit 2010 kürt die Jury um den Berliner Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch den "Anglizismus des Jahres". Für sie sind aus dem Englischen übernommene Lehnwörter willkommene Begriffe, die das Deutsche bereichern.
Lockdown - Wort vielseitig eingesetzt
Beim Begriff "Lockdown" hob die Jury dann auch hervor, wie schnell das Wort auch in neuen Zusammenhängen benutzt werden konnte - etwa in Begriffen wie Lockdown-Regeln, Lockdown-Lockerungen, aber auch Lockdown-Frisur, Lockdown-Kilos und Lockdown-Blues. Auch Adjektive wie lockdownbedingt fanden sich schon im April, und im Mai kam das Verb lockdownen (mit dem Partizip gelockdownt) hinzu.
Weitaus kritischer sieht die Fremdwörter der Verein für deutsche Sprache, der seit 1997 den "Sprachpanscher des Jahres" kürt. Die Initiative wendet sich unter anderem gegen "das unnötige Verdrängen deutscher Begriffe durch Importe aus dem angelsächsischen Ausland".
Bereits im August wurden die "Tagesschau" und die "heute"-Nachrichten als Sprachpanscher 2020 gekürt. Die Begründung: In Zeiten von Corona hätten die Nachrichten-Flaggschiffe Wörter wie Lockdown, Homeschooling, Social Distancing oder Homeoffice einfach übernommen. "Diese Anglizismen zeigen, wie wenig Interesse Tagesschau und heute-Nachrichten haben, die Menschen in ihrer eigenen Muttersprache zu informieren", hieß es.