Deutsche Pfarrerin in Portugal über Corona-Situation

"Hilfe ist dringend nötig"

Portugal war zu Beginn der Pandemie ein Musterschüler. Die Reproduktionszahlen waren europaweit die niedrigsten. Jetzt ist es anders. Das Gesundheitssystem ist an der Belastungsgrenze, so die Pfarrerin der deutschsprachigen Gemeinde in Lissabon.

Symbolbild: Verzweifelte Ärztin im Gebet / © eldar nurkovic (shutterstock)
Symbolbild: Verzweifelte Ärztin im Gebet / © eldar nurkovic ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Portugal ist im strengen Lockdown, ihre fünfköpfige Familie bleibt zuhause. Wie geht es Ihnen?

Christina Gelhaar (Pfarrerin der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde in Lissabon): Uns geht es ehrlich gesagt ziemlich gut. Wir gehören zu denen, die relativ gute Umstände haben für einen Lockdown: mit einer großen Wohnung, einem Garten, in dem wir uns frei bewegen können. Insofern können wir nicht klagen.

DOMRADIO.DE: Wir wissen von Portugal, dass zu Weihnachten die Kontaktbeschränkungen stark gelockert wurden. Gehen Sie davon aus, dass Weihnachten und die Virusmutationen ungünstig zusammenkamen?

Gelhaar: Das sieht ganz danach aus. Obwohl die Portugiesen eigentlich sehr, sehr vorsichtig mit der Situation umgegangen sind, spielt natürlich die Familie eine große Rolle, auf die an Weihnachten Rücksicht genommen wurde und natürlich dann wohl auch Familienbesuche stattgefunden haben. Dazu kommt möglicherweise das ungünstige Einwirken der britischen Virusmutation, die sich hier sehr stark verbreitet hat, allerdings möglicherweise auch erst nach Weihnachten.

Und dazu kommen dann noch im Januar unglaublich kalte Temperaturen hier, in einem Land, in dem auch nicht jeder eine Heizung hat.

DOMRADIO.DE: Die deutsche Bundeswehr ist jetzt in Lissabon mit einem medizinischen Team, um bei der Intensivversorgung zu unterstützen. Wie wird das aufgenommen?

Gelhaar: Im Allgemeinen wird das in der portugiesischen Bevölkerung sehr, sehr positiv aufgenommen. Es wird als großes Zeichen der Solidarität der europäischen Gemeinschaft wahrgenommen und auch als wirklich sehr notwendig angesehen. Dadurch, dass hier das Pflegepersonal wirklich am Rande der Kräfte angekommen ist, dadurch, dass es auch Infektionen innerhalb des Pflegepersonals gibt. Und ja, Hilfe ist dringend benötigt.

DOMRADIO.DE: Als Pfarrerin könnten sie jetzt Däumchen drehen und warten, bis die Zeiten wieder besser werden. Aber sie bieten ihren Gemeindemitgliedern eigene Inhalte an?

Gelhaar: Das ist ganz wichtig. Das war schon im letzten Jahr im ersten Lockdown so, dass wir von jetzt auf gleich umdisponieren mussten und es auch sofort getan haben. Der Bedarf nach Seelsorge, nach geistlicher Begleitung und Stärkung ist da natürlich ganz besonders hoch. Wir haben das Glück, dass in unserer Gemeinde auch die älteren Gemeindeglieder häufig internetfähig sind und tatsächlich die Angebote, die wir übers Internet bereitstellen, nutzen können.

DOMRADIO.DE: Das heißt, sie machen dort online Übertragungen von Gottesdiensten?

Gelhaar: Wir zeichnen Gottesdienste vorher auf, schneiden Sie, da wir für Livestream-Übertragungen nicht gut genug ausgerüstet sind und das nicht unser erstes Ansinnen war. Außerdem zeichnen wir Kindergottesdienste auf, die ebenso auch von Älteren sehr, sehr gerne gesehen werden. Und seit dem ersten Lockdown bieten wir beispielsweise Bibelgesprächskreis über Zoom an, was erstaunlicherweise wirklich hervorragend funktioniert.

DOMRADIO.DE: Merken Sie, wie die Menschen im Lockdown leiden, die zu Ihrer Gemeinde gehören?

Gelhaar: Ich denke, es ist gerade für Ältere, die alleinstehend sind, eine ganz, ganz große Herausforderung. Im ersten Lockdown habe ich mitbekommen, dass die dazugehörigen erwachsenen Kinder extrem vorsichtig waren und ihren Eltern auch sagten: Ihr verlasst jetzt bitte nicht mehr das Haus, ihnen aber auch die Enkel vorenthielten.

Und das ist hart. Mittlerweile ist es so, dass man durchaus dann auch nochmal den Besuch der Pfarrerin oder unserer Freiwilligen im diakonischen Jahr gestattet. Das ist tatsächlich ein bisschen mildernd, um mit dieser Situation umzugehen. 

Das Interview führte Tobias Fricke.


Das Coronavirus setzt Portugal zu / © Armando Franca/AP (dpa)
Das Coronavirus setzt Portugal zu / © Armando Franca/AP ( dpa )
Quelle:
DR