In der Schweiz macht der Bürger Politik. Zumindest kann er viel mitbestimmen. In der direkten Demokratie haben die Wahlberechtigten die Möglichkeit, über Sachentscheidungen das letzte Votum abzugeben. Ob die Beteiligung der Eidgenossen immer zu mehr Gerechtigkeit führt, bleibt allerdings dahingestellt. Wer auf das Frauenwahlrecht blickt, muss an dieser These zweifeln.
Deutsches Reich viel früher dran
Gerade mal seit 50 Jahren dürfen Frauen in der Schweiz wählen - auf Bundesebene. In einigen Kantonen wurde das Frauenstimmrecht schon früher eingeführt. Der Kanton Waadt ging 1959 voran. Zum Vergleich: 1919, also vier Jahrzehnte früher, wählten Frauen erstmals im Deutschen Reich, 1920 in den USA und schon 1907 in Finnland, das zu den Vorreiterstaaten gehörte.
Dabei beginnt die Geschichte der Frauenbewegung in der Schweiz - wie in vielen anderen europäischen Ländern - bereits im 19. Jahrhundert.
Wichtige Vertreterinnen waren etwa Marie Goegg (1826-1899), die 1868 die erste internationale Frauenorganisation gründete - die Association internationale des femmes. Oder die Pfarrerstochter Emilie Kempin-Spyri (1853-1901), die als erste Rechtswissenschaftlerin in der Schweiz promoviert wurde. Oder die Historikerin Meta von Salis (1855-1929), die den bekannten Satz formulierte: "Mein erster Fehltritt in der Welt bestand in dem Erscheinen in weiblicher Gestalt."
Alle drei setzten sich für das Frauenstimmrecht ein; und alle drei sollten seine Einführung nicht mehr erleben. Die Gegenseite berief sich meist auf die Bundesverfassung von 1848 und 1874, wie die frühere Professorin für Geschlechterforschung an der Uni Basel, Andrea Maihofer, in dem Sammelband "50 Jahre Frauenstimmrecht" erklärt.
"Stimmberechtigt ist jeder Schweizer", heißt es in beiden Versionen des Rechtstextes. Obwohl Menschenrechtsaktivistinnen argumentierten, dass der Begriff "Schweizer" doch auch die Frauen einschließe, setzten Politik und Gerichte immer wieder durch, dass das Wahlrecht nur den Männern zustehe. "Mit dem Wort 'Schweizer' waren nur die Männer gemeint", so Maihofer.
Gewohnheitsrecht als Argument gegen das Frauenstimmrecht
Auch ein sogenanntes Gewohnheitsrecht diente als Argument gegen das Frauenstimmrecht, wie die Soziologin erklärt. Während der "bürgerliche wehrhafte Mann" angeblich zum urdemokratischen Recht der Selbstgesetzgebung befähigt war, sollte sich die "bürgerliche wehrlose Frau" um Familie und Kinder kümmern - so die Geschlechterklischees.
Um das Frauenstimmrecht durchzusetzen, brauchte es nicht weniger als eine Verfassungsänderung mit hohen Hürden. Die Frauen mussten für ihre Sache die Mehrheit des stimmberechtigten Volkes gewinnen - also der Männer. Ein erster Versuch 1959 scheiterte. Proteste und Streiks waren die Folge. Am 1. März 1969 demonstrierten 5.000 Frauen und Männer vor dem Bundeshaus in Bern.
"Das war wahnsinnig viel in jenen Jahren", erinnert sich die Anführerin des "Marsches auf Bern", Emilie Lieberherr (1924-2011), in dem Buch "Das volle Leben". Später sollte sie die erste Stadträtin von Zürich werden. "Die Stimmung änderte sich", so Lieberherr. "Die Parteien begannen urplötzlich, sich für Frauen zu interessieren." Und nicht nur die: Sogar der Katholische Frauenbund, der einem Frauenwahlrecht nicht immer wohlwollend gegenüberstand, beteiligte sich am "Marsch nach Bern".
Mütter, Partnerinnen, Schwestern ...
Am 7. Februar 1971 kam es schließlich zur zweiten Abstimmung - diesmal mit Erfolg. 65,7 Prozent der Männer votierten für ein aktives und passives Wahlrecht für ihre Mütter, Partnerinnen, Schwestern, Töchter und Kolleginnen.
Die Geschichte der Gleichberechtigung in der Schweiz endet damit aber nicht. Erst Ende 1990 führte Appenzell Innerrhoden als letzter Kanton das Frauenstimmrecht für seinen Bereich ein - gezwungenermaßen auf eine einstimmige Entscheidung des Bundesgerichts hin.
In den Schweizer Parlamenten sind Frauen nach wie vor unterrepräsentiert, wie die Politikwissenschaftlerin Cloe Jans in "50 Jahre Frauenstimmrecht" festhält. Allerdings stellt die Wahlforscherin hier Fortschritte fest. So seien 2019 so viele Frauen wie nie in den Nationalrat gewählt worden. Für Jans ein Zeichen dafür, dass die Frauen in der Schweiz "ihr Stück vom Kuchen entschiedener als je zuvor" einfordern.