Kirgistan, Georgien, Aserbaidschan, Lettland, Litauen, Polen, Österreich, Luxemburg, Vereintes Königreich, Irland - diese Länder haben etwas mit Deutschland gemein. Sie alle führten 1918 das Wahlrecht für Frauen ein. Weltweit liegen sie damit recht weit vorne: hinter Neuseeland, das Frauen bereits 1893 das Recht zu wählen und gewählt zu werden einräumte, und weit vor Saudi-Arabien, wo das der weiblichen Bevölkerung erst 2011 zugestanden wurde. Weit war der Weg zur ersten gewählten Abgeordneten auf jeden Fall.
1870 war es "Frauenpersonen" laut Preußischem Vereinsgesetz noch verboten, auch nur an Versammlungen politischer Parteien teilzunehmen - geschweige denn, Mitglied zu werden. Als ein Jahr später das "allgemeine, gleiche, unmittelbare und geheime aktive und passive Wahlrecht" eingeführt wird, meint "allgemein" alle Männer über 25 Jahren, die die bürgerlichen und politischen Ehrenrechte besitzen.
Frauenwahlrecht: den Sozialdemokraten sei Dank
Frauen dürfen nichts und niemanden wählen und noch viel weniger selbst gewählt werden. Einverstanden waren die Frauen damit vielerorts keineswegs. Hedwig Dohm schreibt 1876: "Menschenrechte haben kein Geschlecht". Acht Jahre später gründet Minna Cauer in Berlin den ersten Verein, der sich für die politischen Rechte der Frau einsetzt - "Frauenwohl". Dohm wird eines von vielen Mitgliedern. 1891 nimmt die SPD erstmalig die Forderung nach dem Stimmrecht für Frauen in ihr Parteiprogramm auf.
Allein waren die deutschen Frauen mit ihrem Anliegen nicht. 1904 trafen sich Frauen aus 25 verschiedenen Ländern in Berlin. Dort kam es zur Gründung der "International Women's Suffrage Alliance". Denn die Vorurteile gegen eine weibliche Mitbestimmung in der Politik hielten sich überall: Frauen seien zu dumm, zu emotional, und überhaupt sollten sie sich um Kinder und den Haushalt kümmern. Außer einem Ehemann bräuchten sie niemanden zu wählen.
Schritt für Schritt zum Frauenwahlrecht
1908 fällt schließlich das Preußische Vereinsrecht - von nun an dürfen Frauen in politischen Parteien und Organisationen tätig werden und sie auch selbst gründen. Allerdings sind sich die verschiedenen Frauenverbände nicht einig, auf welche Weise sie das Recht auf eigene Stimmabgabe erhalten wollen. Für einige Jahre stagniert die Bewegung.
Erst 1917 nimmt sie wieder Fahrt auf, als kurz vor Ende des Ersten Weltkriegs absehbar ist, dass der Deutsche Kaiser trotz geplanter Wahlrechtsreform die Frauen weiterhin nicht berücksichtigen will. So übergeben sie dem Preußischen Landtag eine Erklärung, in der sie unter anderem auf die von Frauen im Krieg geleistete Arbeit verweisen und ein allgemeines und gleiches Wahlrecht fordern. Kurz darauf stellen über 1.000 Frauen auf einer Kundgebung ähnliche Forderungen.
Alle ab 20 waren wahlberechtigt
Diese Forderungen wiederholen sich zusehends, auch im Jahr 1918. Doch zunächst stürzt die Monarchie, geht der letzte deutsche Kaiser ins Exil und ruft Philipp Scheidemann die Republik aus. Als der Rat der Volksbeauftragten kurz darauf, am 12. November 1918, sein Regierungsprogramm vorstellt, ist es endlich soweit: Das Frauenwahlrecht tritt am 30. November 1918 in Kraft. Wahlberechtigt sind nun alle Frauen und Männer ab 20 Jahren.
Im Jahr darauf, am 19. Januar 1919, stimmen Frauen zum ersten Mal in ganz Deutschland über die verfassungsgebende Nationalversammlung ab.
(K)eine Selbstverständlichkeit
Und ihr Interesse ist groß: Unter den wahlberechtigten Frauen liegt die Wahlbeteiligung bei über 80 Prozent. 300 haben sich selbst zu Wahl gestellt, 37 werden tatsächlich gewählt - immerhin knapp 9 Prozent des damaligen Parlaments. Die meisten kommen aus der SPD, denn in konservativen und kirchlichen Kreisen ist man oft gegen das Wahlrecht der Frau: Die gehöre zu ihrer Familie, meint man.
Die Sozialdemokratin Marie Juchaz war die erste Frau, die eine Rede in der Nationalversammlung hielt. Sie sagte am 19. Februar 1919: "Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: Sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist."