Katholisches Projekt bietet Obdachlosen Einzelschlafplätze

Festival-Hütten helfen in eisigen Nächten

Die aktuellen Tiefsttemperaturen in Berlin spitzen die Not von Obdachlosen noch zu. Kältehilfe ist jetzt überlebenswichtig. Ein katholisches Projekt will maximale Privatsphäre auf kleinstem Raum bieten. Ein Blick in die deutsche Hauptstadt.

Autor/in:
Johannes Senk
Obdachlos im Winter / © Nicolo' Zangirolami (shutterstock)
Obdachlos im Winter / © Nicolo' Zangirolami ( shutterstock )

Als wäre der Berliner Winter in Corona-Zeiten nicht schon schlimm genug: Nun gibt es auch Eiseskälte weit unter Null. Seit Anfang Februar sind die Minusgrade in der Hauptstadt manchmal zweistellig. Besonders dramatisch ist diese Situation für alle, die keine eigenen vier Wände haben.

Obdachlose Menschen können dann Unterschlupf in einer Einrichtung der Kältehilfe finden, einer Gemeinschaftsaktion unter anderen von Senat, Wohlfahrtsverbänden und Kirchengemeinden mit über 30-jähriger Tradition. Wegen der aktuellen Not hat sie ihre Angebote kurzfristig ausgeweitet und bietet seit dem Wochenende 300 zusätzliche Schlafplätze an.

Acht Wohnboxen vor Kirche

An der katholischen Sankt-Pius-Kirche im Stadtteil Friedrichshain findet sich dazu ein besonderer Beitrag: Acht kleine Wohnboxen, Lodges genannt, stehen dort dicht an dicht in U-Form, dazwischen eine Bank mit einer Kombination aus Mülleimer und Aschenbecher, die ganze Anlage überspannt mit einer Plane.

Die viereckigen Hütten sind außen mit einer Holzoptikfolie beklebt, die ihnen einen heimeligen Charakter verleiht. Im Sommer stehen sie an anderen Orten in ganz Deutschland und werden vornehmlich für Festivals vermietet. In diesem Winter bieten sie dagegen jeweils einem Menschen ohne Wohnung von 20.00 bis 8.00 Uhr einen warmen und trockenen Schlafplatz. "Es ist eine Mischung zwischen Campen und Wohnen und hat noch viel vom Straßencharakter", erklärt Diakon Wolfgang Willsch. "Dennoch ist es intimer und besser geschützt. Dadurch kommen Menschen zu uns, die sonst nie in eine Kältehilfeeinrichtung gegangen wären."

Willsch ist Obdachlosenseelsorger im Erzbistum Berlin und Vorsitzender der geistlichen Gemeinschaft "Brot des Lebens", von der die Lodges betreut werden. Seit 30 Jahren ist Willsch bereits in der Kältehilfe aktiv; vor sechs Jahren organisierte er zum ersten Mal die Lodges vor dem Pfarrhaus der Gemeinde an der Palisadenstraße. Die Einzelunterbringung macht für ihn den zentralen Unterschied zu anderen Einrichtungen aus: "Die Leute sollen bei uns das Gefühl haben, etwas Eigenes zu haben."

Bei Nico kommt das an - der weißhaarige ältere Mann gehört zu den regelmäßigen Gästen der Lodges. Seit sechs Jahren lebt er bereits auf der Straße, vielleicht sogar länger. Winterquartiere hat er seitdem viele besucht und verrät, warum er die Unterkunft bei Sankt Pius den anderen vorzieht: "Mit 100 Mann in einem Saal, das ist nicht mehr lustig. Privatsphäre ist da ein Fremdwort, und man muss natürlich auf seine Sachen aufpassen. Da kommt man nicht richtig zur Ruhe beim Schlafen."

Auch Mahjoub schätzt die Lodges sehr. Der 45-jährige Tunesier kam als Obdachloser im vorletzten Jahr erstmals zu den Lodges - heute ist er fest angestellt und sorgt an vier Tagen in der Woche für warme Mahlzeiten. "Wir kämpfen dafür, dass es jeden Abend gutes und abwechslungsreiches Essen gibt. Manchmal ist es fast wie im Restaurant."

Gesamtkonzept droht baldiges Aus

Normalerweise bieten die Lodges und das Gemeindehaus eine sichere und angenehme Unterkunft für über ein Dutzend Wohnungslose. In diesem Winter ist indes nichts normal. Auch für das Angebot bei Sankt Pius bringt die Pandemie starke Veränderungen mit sich. Was seit Corona vor allem fehlt, ist das sonst so geschätzte Gemeinschaftsgefühl: Ob das Zusammenkommen zum Essen im Gemeinschaftsraum oder am Abend auf der Bank vor den Lodges - all das ist zurzeit nicht möglich.

Zudem wurde die Angst vor einer Infektion auch für die Helfer und Bewohner der Notunterkunft sehr real: Im Dezember starb einer der Betreuer an dem Virus. "Das macht etwas mit einem", sagt Willsch, und Mahjoub ergänzt: "Corona ist ernst und nicht zum Spaßen. Der Verstorbene war viel kräftiger als ich. Trotzdem ist er jetzt tot."

Wie lange es die Lodges noch geben wird, ist ungewiss. Dem Gesamtkonzept droht ein baldiges Aus, berichtet Willsch. Im Rahmen der Gemeindefusionen im Erzbistum Berlin sind eine Sanierung von Kirche und Pfarrhaus beschlossen, das wäre das Ende der Kältehilfe an diesem Ort. Für Willsch wäre das nur schwer nachvollziehbar: "Warum sollte man eine kirchliche Einrichtung schließen, wenn sie genau das macht, was die Kirche tun sollte, nämlich Bedürftigen Hilfe leisten?"


Lodges als Notschlafstelle für Obdachlose / © Jannis Chavakis (KNA)
Lodges als Notschlafstelle für Obdachlose / © Jannis Chavakis ( KNA )
Quelle:
KNA
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