DOMRADIO.DE: Lange hat man im Erzbistum Köln auf diesen Tag gewartet. Was ist die wichtigste Erkenntnis?
Prof. Dr. Björn Gercke (Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht): Wir sind auf ein System gestoßen, das Vertuschung begünstigt hat. Wir haben eine katastrophale Aktenlage vorgefunden. Gravierende Rechtsunkenntnis, erschreckende Rechtsunkenntnis und ein System, wo wir geradezu von einem völlig planlosen Versagen in einer Gesamtschau sprechen müssen.
DOMRADIO.DE: Kann man überhaupt, wenn die Aktenlage so desaströs ist, rein anhand der Aktenlage entscheiden?
Gercke: Wir haben natürlich nicht nur anhand der uns vorgelegten Interventionsakten entschieden, sondern haben auch aus den Personalakten, aus unzähligen Gesprächsprotokollen und Unterlagen und auch weiteren Dokumenten uns erst einmal ein Gesamtbild verschafft. Das war sozusagen die Ausgangsgrundlage für unsere Begutachtung. Wir haben dann in einem zweiten Schritt diesen Personen, denen wir potentiell Pflichtverletzung vorwerfen, die Unterlagen, die für sie jeweils relevant waren, zur Verfügung gestellt und sie dann anschließend teils ganztägig hierzu befragt, um uns so ein Gesamtbild machen zu können.
DOMRADIO.DE: Sie haben keine Pflichtverletzungen beim Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki festgestellt?
Gercke: Das ist richtig. Es wäre für uns sicherlich aus medialen Gründen viel einfacher gewesen, Herrn Woelki mit einer Pflichtverletzung zu belasten. Es gab in der Tat einen Fall, wo wir heiß diskutiert haben, aber im Ergebnis dann letztlich keine Pflichtverletzung feststellen konnten. Das ist nach zwölf Augenprinzip erfolgt, also vier Rechtsanwälte unserer Kanzlei und zwei externe Kirchenrechtler. Wir liegen übrigens mit dieser Einschätzung auf einer Linie mit dem Münchener Gutachten, das bislang aus äußerungsrechtlichen Gründen nicht veröffentlicht wurde. Auch die Münchener Kollegen sind zu keiner Pflichtverletzung von Herrn Woelki gekommen. Insoweit keine Überraschung.
DOMRADIO.DE: Wie haben Sie das Erzbistum Köln in der Zusammenarbeit erlebt?
Gercke: Nun, das war natürlich ein gewisser Prozess. Man hat am Anfang vielleicht auch mit ein bisschen Argwohn auf uns geguckt. Wir haben dann sehr schnell aber gerade aus der Interventionsstelle, aber auch von anderen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Erzbistums, viel Zuspruch erfahren. Wir haben ja das Problem der Aktenunvollständigkeit gehabt und hatten viele Nachfragen und haben das Erzbistum und die Mitarbeiter hier auf Trab gehalten. Am Ende der Tage war es so, dass wir teilweise täglich in Diskussionen mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern standen und uns unglaublich viel Hilfe entgegengebracht worden ist. Das heißt, wir hatten den Eindruck, dass bereits nach kurzer Zeit es Herzenssache der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Erzbistums war, uns hier bei der Begutachtung zu unterstützen.
DOMRADIO.DE: Jetzt haben Sie als Rechtsanwalt ein juristisches Gutachten vorgestellt. Gleichwohl sind Sie auch ein Mensch. Was macht so ein juristisches Gutachten mit dem Menschen Björn Gercke?
Gercke: Nun, es ist natürlich so: Wir haben hier über teils sehr schwerwiegende Missbrauchsfälle Kenntnis gehabt und hier die Akten durcharbeiten müssen. So muss ich es fast sagen. Und das geht nicht immer ganz spurlos an uns vorbei, weder an mir noch an meinen Kolleginnen und Kollegen, die teilweise auch etwas jünger sind. Es gab durchaus die eine oder andere Akte, die man dann auch mal ein, zwei Tage weglegen musste, um sich erst mal ein Stück weit zu sammeln. Aber letztlich darf das natürlich nicht den Blick davor verschließen, dass wir ein relativ nüchternes, vielleicht fast kühles Gutachten geschrieben haben, um dem Gutachterauftrag gerecht zu werden.
Das Interview führte Ingo Brüggenjürgen.