Es müsse mehr getan werden, um Mädchen und Jungen in der Kirche zu schützen.
DOMRADIO.DE: Als Sie gestern die Vorstellung des Missbrauchsgutachtens verfolgt haben und die ersten Ergebnisse gehört haben, was haben Sie da gedacht?
Volker Andres (Diözesanvorsitzender Bund der Deutschen Katholischen Jugend, BDKJ, im Erzbistum Köln): Als ich das gesehen habe, hat mich das ein bisschen fassungslos gemacht, wie groß dieses Ausmaß der Vertuschung im Erzbistum Köln eigentlich war. Dass viele Missbrauchsfälle in der Historie passierten, das ist uns ja spätestens seit der MHG-Studie bekannt.
Aber dass dann in so einem großen Ausmaß in der Vergangenheit und auch in der jüngeren Vergangenheit vertuscht wurde, Pflichtverletzungen begangen wurden, macht mich immer noch fassungslos und ärgert mich total.
DOMRADIO.DE: Gleich im Anschluss an die Pressekonferenz hat Kardinal Woelki erste personelle Konsequenzen gezogen. Sind Sie erstmal zufrieden mit dieser Reaktion des Bistums?
Andres: Ich bin insofern zufrieden, dass Weihbischof Schwaderlapp und Domkapitular Assenmacher direkt von ihren Pflichten befreit wurden, dass Kardinal Woelki dort direkt Konsequenzen gezogen hat. Ich frage mich aber immer noch, warum nicht früher personelle Konsequenzen auch selbst gezogen werden konnten. Warum brauchte es dafür dieses Gutachten? Das Ausmaß ist so groß.
Für mich und uns geht es ja auch nicht nur um personelle Konsequenzen und persönliche Verantwortung, sondern auch moralisch-ethische Verantwortung. Und ich glaube, da kann noch mehr passieren.
DOMRADIO.DE: Was muss denn in Ihren Augen jetzt als nächstes passieren? Was für Konsequenzen erwarten Sie?
Andres: Der erste Schritt ist natürlich, die juristischen Empfehlungen, die Professor Gercke mit seiner Kanzlei aufgestellt hat, direkt umzusetzen, da nicht weiter zu verzögern. Aber es müssen auch noch weitere Disziplinen mit in die Aufarbeitung kommen.
Für uns ist die Aufarbeitung nicht ausreichend, wenn nur ein juristisches Gutachten vorgestellt und vorgelegt wird. Wenn man in diese Zeit nur auf Fehlverhalten aus juristischer Perspektive schaut, dann ist das zu wenig. Man muss das weiter fassen, aus historischer Perspektive, aus psychologischer Perspektive, vielleicht aus soziologischer Perspektive. Damit kann man dann weiter umgehen und Aufarbeitung umfassend betrachten.
Dies würde bedeuten, dass man zukünftig wirklich dafür sorgen kann, dass Kinder und Jugendliche beschützt werden und dass Missbrauch in dieser Form nicht nochmal passieren kann.
DOMRADIO.DE: Sie vertreten ja Kinder und Jugendlichen in der Kirche. Wie wichtig ist für die, dass das jetzt richtig und gut aufgearbeitet wird?
Andres: Ich glaube, das ist unheimlich wichtig. Wir haben uns gestern Abend mit ein paar ehrenamtlichen Leiterinnen aus den Jugendverbänden getroffen und da gab es auch eine große Fassungslosigkeit zu diesen Auswirkungen, zu dem System der Vertuschung. Viele haben auch gefragt, wie das eigentlich sein könne. Wie kann man Teil dieser Kirche sein, in der so viele Fehler passieren?
Da ist es uns vor allem wichtig, dass jetzt auch konsequent damit weitergearbeitet wird, gehandelt wird. Wir vertreten Kinder und Jugendliche, wir machen Angebote für Kinder und Jugendliche. Und unser Anspruch ist natürlich, alles dafür zu tun, dass die gut aufwachsen können und geschützt sind und auch in einer menschenfreundlichen Kirche aufwachsen können.
DOMRADIO.DE: Denken Sie denn, dass heute genug zur Prävention solcher sexualisierter Gewalt in der Kirche getan wird?
Andres: Ich glaube, wir haben viele gute Schritte in der Katholischen Kirche, vor allen Dingen im Erzbistum Köln, im Bereich Prävention getan. Es ist sehr unterschiedlich, wenn man sich das Spektrum in den anderen Diözesen anschaut, wie Prävention gemacht wird. Aber ich glaube, es kann noch viel mehr passieren. Es reicht nicht Präventionsschulungen zu machen, Schutzkonzepte zu verabschieden und diese mit Leben zu füllen.
Vielmehr wissen wir ja auch, spätestens seit der MHG-Studie, dass weiter strukturelles Fehlverhalten durch systemische Ursachen existiert, was Missbrauch begünstigt. Diesen Themen und Inhalten muss man sich widmen, was auch ein Aspekt der Prävention ist. Das sind ja auch Themen, die in diesem Gutachten großteils ausgespart werden. Da muss mehr passieren.
DOMRADIO.DE: Das sind auch Themen, die Sie in knapp einer Woche auf einer Online-Veranstaltung diskutieren wollen. Wo ist denn für Ihre BDKJ-Mitglieder im Moment der dringendste Gesprächsbedarf?
Andres: Ich glaube, der dringendste Gesprächsbedarf ist, das jetzt konkret umzusetzen und die missbrauchsbegünstigenden Faktoren anzugehen. Wir reden ja von Klerikalerisierung, von Machtmissbrauch, von tabuisiertem Umgang mit Sexualität. Gerade nachdem der Vatikan sich ja auch nochmal am Montag geäußert hat, dass die Verbindung zwischen Homosexuellen nicht gesegnet werden dürfen.
Das ist für die Menschen und unsere Mitglieder nicht nachzuvollziehen. Das spielt dann auch in dieses ganze System mit rein und da muss was getan werden und etwas verändert werden.
Das Interview führte Hilde Regeniter.