Hoffnung in die Gesellschaft tragen und die Menschen in ihrem Leben und Glauben begleiten und stärken: Der neue Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Thorsten Latzel, traut der Kirche in den aktuellen Krisenzeiten eine Schlüsselrolle zu.
Dazu müsse sie aber neue Formen finden, sich mehr als weltoffene Bewegung verstehen und ein besonderes Augenmerk auf junge Menschen legen, sagt der 50-jährige promovierte Theologe. Mit seiner Amtseinführung als neuer Spitzenrepräsentant der zweitgrößten deutschen Landeskirche am kommenden Samstag verbindet sich die Erwartung von Aufbruch und Veränderung.
Kirche im Wandlungsprozess
Denn die rheinische Kirche mit ihren 37 Kirchenkreisen und 655 Gemeinden befindet sich angesichts sinkender Mitglieder- und Einnahmezahlen in einem Wandlungsprozess, der durch die Corona-Krise beschleunigt wird. Ein Impulspapier konstatiert das Ende der Volkskirche und auch Latzel betont, die Lösung sei nicht "die Kirche der 70er und 80er Jahre in kleinerer Form".
Es gebe bereits viele Ideen, und auch die Notwendigkeiten der Corona-Zeit hätten einen Innovationsschub ausgelöst, lobt der besonnen und reflektiert auftretende Theologe, der kreatives Denken zu seinen Stärken zählt.
Von ihm wird in den kommenden acht Jahren die Steuerung, Begleitung und Kommunikation des Wandels erwartet. Eine gute Voraussetzung für den eloquenten und kommunikationsfreudigen Theologen könnte sein, dass mit ihm erstmals ein Kandidat "von außen" zum Präses gewählt wurde. Geschick und Zielstrebigkeit in Reformfragen stellte Latzel unter Beweis, als er die ab 2013 von ihm geleitete Evangelische Akademie Frankfurt konzeptionell neu aufstellte und zu einem gefragten urbanen Debattenort für theologische und gesellschaftliche Themen entwickelte.
Hilfreich dürfte auch Latzels Erfahrung ab 2005 im Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sein, wo er als Oberkirchenrat das Projektbüro Reformprozess leitete und für die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen zuständig war. Als Blogger veröffentlicht Latzel auf der Seite "glauben-denken.de" regelmäßig essayistische Impulse zu aktuellen Themen - in einer Sprache abseits des Kirchenjargons, um eine Kontaktfläche für Menschen zu bieten, die traditionelle Wege nicht erreichen.
Ökumenischer Blick in die Zukunft
Der neue Präses wirbt zudem für eine innovative Start-up-Kultur und neue Formen von Beteiligung vor allem für junge Leute: Damit Kirche zukunftsfähig ist und die Weitergabe des Glaubens nicht abreißt, müssten 20- bis 40-Jährige mehr Verantwortung erhalten und auf die Kanzeln geholt werden. Von Laien lasse sich lernen, anders vom Glauben zu sprechen und aus Binnenmustern auszubrechen.
Die Zukunft der Kirchen sieht Latzel ökumenisch: Evangelische und katholische Christen hätten mehr gemeinsam als sie trennt, auch in die Debatte über theologische Unterschiede sei Bewegung gekommen. Mit Blick auf den Missbrauchsskandal vermeidet der neue Kirchen-"Chef" eine Distanzierung von der schleppenden Aufklärung im Erzbistum Köln unter Kardinal Rainer Maria Woelki, betont aber: "Als evangelische Kirche stehen wir eindeutig an der Seite der Betroffenen."
Latzel wurde am 29. September 1970 in Biedenkopf geboren und wuchs in einer strukturschwachen Region in Bad Laasphe im Kreis Siegen-Wittgenstein in einer interkonfessionellen Familie auf: der Vater Werkzeugmacher und katholisch, die Mutter Bankangestellte und evangelisch. Er studierte Evangelische Theologie in Marburg und promovierte 2002 in Heidelberg mit einer Arbeit über den Heidelberger Katechismus.
Weil seine Frau Lehrerin in Hessen wurde, zog der dreifache Vater von Westfalen in die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck, wo er zunächst als Vikar und dann drei Jahre als Gemeindepfarrer arbeitete.
Seine beiden älteren Geschwister sind ebenfalls Theologen. Von der fundamentalistisch-konservativen Haltung seines Bruders Olaf, der vom Bremer Amtsgericht wegen Volksverhetzung verurteilt wurde, distanziert sich Thorsten Latzel entschieden: "Uns beide trennen theologisch Welten." Er selbst stehe für Wertschätzung, Vielfalt, Aufklärung und Freiheit.