DOMRADIO.DE: Wie blicken Sie auf die Veröffentlichung des Gutachtens zu Fällen sexueller Gewalt im Erzbistum Köln?
Astrid Mayer (Journalistin und Mitglied im "Aktionsbündnis der Betroffeneninitiativen"): Der Eindruck am Ende des Tages war, dass die Täterorganisation wieder im Mittelpunkt stand und die Diskussion, wer verantwortlich war und wer welche Konsequenzen zieht. Mir fehlte die Frage, was das eigentlich den Betroffenen nutzt und was man für sie machen kann.
DOMRADIO.DE: Nutzt es denn den Betroffenen?
Mayer: Einerseits nutzt es, weil das Thema in der Öffentlichkeit bleibt und wir über sexualisierte Gewalt in der Kirche sprechen und wie man das aufarbeiten kann. Jetzt haben wir ein Beispiel dafür, wie es nicht geht, allein wenn ich mir die beteiligten Akteure anschaue: Angefangen bei Kirchenrechtler Stefan Korta, dessen Haupttätigkeit zu sein scheint, Missbrauchs-Täter zu verteidigen. Und die anderen sind meines Erachtens auch sehr verstrickt in abwehrende Haltungen und in die Diskreditierung von Missbrauchsopfern. Das gibt dem Ganzen ein Geschmäckle: Da kann ich nicht davon ausgehen, dass es ihnen wirklich darum geht, etwas für die Betroffenen zu tun. Und schließlich haben wir ja einen nachgewiesenen Fall, wo Kardinal Woelki einen vertrauten Priester, einen Täter, geschützt hat. Aber eine Pflichtverletzung wurde ihm nicht bescheinigt.
Aber damit will ich mich gar nicht beschäftigen, denn das kostet Zeit und Kraft. Wichtig ist mir: Was kommt bei den Betroffenen rüber? Ich habe gestern mit einem anderen Betroffenen telefoniert und er sagte mir, er werde sich weiterhin nicht melden, weil er befürchtet, diskreditiert zu werden; dass man ihm nicht glaubt und dass er retraumatisiert wird. Und so denkt die Mehrheit der Betroffenen: Sie haben nicht das Gefühl, dass sie ernst genommen werden. Und diese Angst ist sehr begründet, das erleben wir immer wieder.
Das ist so schizophren: Diese Kirche fordert einerseits dazu auf, sich zu melden, sie sagt, sie wolle Aufarbeitung. Und andererseits werden die Betroffenen hingehalten und ihr Leid bagatellisiert.
DOMRADIO.DE: Sie waren acht Jahre alt, als sich der Pfarrer in Ihrer Heimatgemeinde St. Kolumban im süddeutschen Wendlingen das erste Mal an Ihnen verging. Das war 1973. 2005 haben Sie dann diesen Pfarrer bei der Diözese Rottenburg-Stuttgart angezeigt. Wie hat man in Ihrem Fall reagiert?
Mayer: Es gab damals schon eine Missbrauchs-Kommission, in der auch ein Psychologe saß, aber niemand hat mir das gesagt. Der Justiziar war nur damit beschäftigt, Widersprüche in meinen Anschuldigungen zu suchen, er unterstellte mir, dass ich mir das in der Therapie ausgedacht habe.
Das war 2005, das könnte sich die Kirche heute vermutlich nicht mehr leisten. Aber vielleicht bin ich da auch zu optimistisch. Viele Betroffene haben so eine Erfahrung gemacht, mein Eindruck ist: Es geht der Kirche nicht um uns Betroffene, sondern darum, das Thema möglichst schnell aus der Welt zu schaffen.
DOMRADIO.DE: Was bedeutet das für die Betroffenen, wenn sie sich überwinden, ihren Fall beim Bistum anzuzeigen und dann so etwas erleben?
Mayer: Das ist die gleiche Situation, in der man als Kind war: Ich habe damals genau gewusst, dass mir keiner glauben würde, ist ja schließlich der Pfarrer. Und als ich es dann über 30 Jahre später versucht habe, im Bistum anzuzeigen, ist genau das passiert, was ich immer befürchtet habe, nämlich dass ich zusammenbreche, wenn mir keiner glaubt.
DOMRADIO.DE: Sie haben als Mitglied im "Aktionsbündnis der Betroffeneninitiativen" einen Überblick, wie es in anderen Bistümern, vor allem in Süddeutschland läuft. Wird es da etwas besser gemacht?
Mayer: Im Erzbistum Freiburg, wo ich jetzt wohne, sind die Anlaufstellen ausgegliedert, da wird relativ professionell gearbeitet. Aber wenn es dann um die Anerkennung geht, erleben wir wieder, dass Aussagen angezweifelt werden. Wir haben Kontakt zu einer Betroffenen, die dadurch retraumatisiert wurde. Ein anderes Problem ist auch der Umgang mit Tätern, denn wir wissen von einigen, die weiter Messen lesen oder seelsorgerisch tätig sind.
In München warten wir auf ein Gutachten, das Ende des Jahres veröffentlicht werden soll, da sind wir sehr gespannt, weil wir wissen, dass es Fälle gibt, in denen sich Kardinal Marx falsch verhalten hat. Und in Rottenburg-Stuttgart haben wir noch nicht einmal einen Betroffenenbeirat, weil sich keine Betroffenen melden. Und wir reden hier nicht über Menschen, die zu bequem sind, sondern die Angst haben, psychisch zusammenzubrechen.
Ich kann kaum professionelle Aufarbeitungsbemühungen feststellen. Insofern sehe ich in Köln zumindest eine Professionalität, mit der man sich auseinandersetzen kann. Aber nicht den ernsthaften Willen zur Aufarbeitung und zur Veränderung von Strukturen, sondern man will das Thema abhaken. Dass diese Krise eine Chance ist, diese Kirche positiv zu verändern, und – womöglich – Vorbild zu werden im Umgang mit Missbrauch – das scheinen die Bischöfe nicht zu sehen. Es gibt einige in der Sache sehr engagierte Katholiken, denen bin ich auch dankbar. Leider werden sie oft ausgebremst, ja gemaßregelt.
DOMRADIO.DE: Sie haben die Betroffeneninitiative Süddeutschland mitbegründet: Was machen Sie als Netzwerk?
Mayer: Da muss man ein bisschen ausholen: Der Eckige Tisch und andere Initiativen, die sich früh begründet haben, waren Ordens-Betroffene, die Kontakt hatten, weil sie auf der gleichen Schule waren. Wir vertreten eher die Betroffenen aus den Gemeinden. Wir waren zunächst alle Einzelkämpfer und haben uns eher zufällig gefunden, zehn Jahre haben wir gebraucht, um auf eine nennenswerte Anzahl von Mitgliedern zu kommen. Aber wir haben dann festgestellt, dass wir vielfach in den Diözesen die gleiche Erfahrung mit Abwehr und Bagatellisierung der Taten gemacht haben und es hilft zu sehen, dass das offenbar eine generelle Strategie ist.
DOMRADIO.DE: Was ist Ihre zentrale Forderung?
Mayer: Als "Aktionsbündnis der Betroffeneninitiativen" fordern wir eine unabhängige Untersuchungskommission, damit genau das nicht mehr passiert: Dass die, die aufklären sollen, von denen bezahlt werden, die Gegenstand der Untersuchung sind. Oder Akteure eingesetzt werden, die sich bereits durch Abwehr von Vorwürfen und die Diskreditierung von Opfern hervorgetan haben.
Wir brauchen unabhängige Anlaufstellen, damit die Betroffenen nicht dauernd mit Angehörigen des Bistums zu tun haben.
Und was noch kaum thematisiert wird: Missbrauchsbetroffene unter Kirchenangestellten. Die gibt es auch und die sollen sich endlich zeigen können und Gehör finden. Ich bin überzeugt, dass in den Hierarchien etliche Betroffene sitzen, die das verdrängen. Und verdrängende Missbrauchsbetroffene haben die Tendenz, anderen Betroffenen ihre Erfahrungen abzusprechen. Und solange das innerhalb der Kirche ein Tabu ist, wird sich da auch nichts ändern.
Das Interview führte Ina Rottscheidt.
Mehr Informationen zur Betroffeneniniative Süddeutschland unter: www.betroffeneninitiative-sueddeutschland.de