Publizist warnt vor eskalierendem Unmut in Debatten

"Demut eine der entbehrtesten Tugenden der Zeit"

Die Bund-Länder-Runde die gerade erst beschlossene Osterruhe zurückgenommen, Kanzlerin Merkel hat sich dafür sogar bei den Bürgern entschuldigt. Politikwissenschaftler Püttmann mahnt jedoch in den Reaktionen zu Besonnenheit und Demut.

Bundeskanzlerin Merkel / © Hannibal Hanschke (dpa)
Bundeskanzlerin Merkel / © Hannibal Hanschke ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wollen Sie im Moment mit Merkel, Spahn und Co. tauschen?

Dr. Andreas Püttmann (Politikwissenschaftler und Publizist): Nicht nur im Moment nicht. Ich hatte immer schon Respekt vor einer so komplexen Aufgabe der Interessenwahrnehmung und -bündelung in einer so pluralen, individualisierten, selbstbewussten, anspruchsegozentrischen und inzwischen auch sehr polarisierten Gesellschaft.

Insbesondere regierende Politiker stehen unter Dauerstress bei weitgehendem Verlust ihrer Zeitsouveränität, einer nicht enden wollenden Flut von Papieren und Informationen, die sie zu verarbeiten haben und immer mehr auch als Zielscheibe von Frust und Hass. Das kann man sich schlechterdings kaum wünschen, zumal man trotzdem in anderen exponierten Berufen mehr verdient.

Oppositionspolitiker haben es ein bisschen leichter. Aber auch sie haben wohl oft ein größeres Arbeitspensum als die meisten Berufsgruppen.

DOMRADIO.DE: Aber man muss ja trotzdem sagen, dass es im Moment ein chaotisches Hin und Her mit Beschlüssen gibt. Ist da Kritik nicht auch angebracht?

Püttmann: Ja, sicher! In Einzelfragen wird sowieso jeder Kritikwürdiges finden - ich auch -, zum Beispiel bei der Impfbeschaffung, teilweise auch Impfplanung oder bei manchen Einschränkungen wie etwa für Ferienwohnungen - als wenn man darin nicht als ein Selbstversorger wie zuhause leben könnte.

Mir kam manchmal auch angesichts zögerlicher Ministerpräsidenten, etwa vor dem zweiten Lockdown im Herbst, der Spruch in den Sinn: "In Gefahr und großer Not bringt der Mittelweg den Tod". Erschreckend wahr im Wortsinn. Andererseits würde ich sagen es gibt wenige Länder, in denen man in diesem vergangenen Jahr lieber gelebt hätte als in Deutschland.

Es geht uns da immer noch relativ gut, auch mit unserer Politik, jedenfalls im Reigen der freien Gesellschaften, sodass ich meine, bei aller Kritik ist doch auch Mäßigung angebracht.

DOMRADIO.DE: In den sozialen Medien mutieren Merkel und die Ministerpräsidenten ja geradezu zu regelrechten Sündenböcken. Warum ist das so? Warum projizieren wir dann unsere Gedanken so auf sie?

Püttmann: Zunächst: Schimpfen über "die da oben" ist überall und zu allen Zeiten üblich. Darauf können sich Uneinige stets immer noch leicht einigen. Wenn man sich nicht gegenseitig befehden will, sucht man gern einen Dritten, über den man gemeinsam schimpfen kann.

Zweitens würde ich sagen, dass viele verkennen, dass die Politik nur Repräsentation eines Volkes ist, das auch in dieser Pandemiefrage ideologisch gespalten ist. Man müsste mit seinem Unmut also eigentlich mehr zur Seite schauen als nach oben. Aber meist verkehrt man mehr oder sogar nur mit Gleichgesinnten.

Dadurch wird man leicht dafür blind, dass das Hickhack in der Politik, über das man sich beschwert, eigentlich nur die Gespaltenheit der Gesellschaft widerspiegelt. Negative Mehrheiten gegen irgendwas sind immer leichter zu finden als positive Mehrheiten zur Gestaltung. Es gibt also eine Wahrnehmungsschwäche für Dilemmata, in denen Politiker agieren.

Drittens meine ich, dass auch eine Hybris um sich greift: Es selbst besser zu können. Die frühere Demut, die wesentlich vom Christentum gelehrt wurde, brauchen nicht nur Regierende, sondern auch Regierte. Sie nimmt ab. Die Demut als Bürger zu sagen: Naja, etwas mehr als ich werden sie schon verstehen von den Problemen und Umständen, deswegen enthalte ich mich mal lieber eines harschen Urteils.

Eine Allensbacher Umfrage lautet: "Wenn ich mir anschaue, was in der Politik so gemacht wird, denke ich mir oft: Die Politiker haben keine Ahnung. Das könnte ich besser als die." 33 Prozent der Katholiken stimmen zu, 35 Prozent der Protestanten und 45 Prozent der Konfessionslosen.

Die angemessene Demut ist - meine ich - eine der entbehrtesten Tugenden der Zeit.

DOMRADIO.DE: Und die sozialen Medien wie Twitter und Facbook, die erleichtern einem da jetzt das Publizieren der eigenen Meinung.

Püttmann: Die Social Media haben nochmal richtig Feuer gemacht unter dieser Entwicklung, indem sie die Selbstbestätigungszirkel verstärken, die Vorstellung, dass man selbst im Recht ist und die Wahrheit gefunden hat.

Einerseits durch Vereinfachung: Meistens können sie in Social Media nur ganz wenig schreiben. Sie können die Dinge kaum differenziert ausloten. Andererseits durch die Gesinnungsgleichheit in der Blase der eigenen Follower, und drittens auch durch die Enthemmung in der Anonymität, die die Social Media bieten.

DOMRADIO.DE: Und dieser Dauerbeschuss, der könnte natürlich auch dazu führen, dass der eine oder andere vielleicht sagt, dass er gar nicht in die Politik möchte.

Püttmann: Das ist eines der großen Risiken dieser Entwicklung. Zunächst, dass die Konfliktkultur bei eskalierendem Unmut zu immer rabiateren Protesten führt. Das sieht man schon an der Querdenker-Bewegung. Es wird von Demos berichtet, dass da immer brutaler und offen illegaler vorgegangen wird, dass die Selbstermächtigung, aus Wut dann auch zur Tat zu schreiten, zunimmt.

Das andere, was Sie angedeutet haben, ist die Politikerauswahl. Diese Entwicklung kann dazu führen, dass die Sensibleren, die Differenzierteren, Feineren sich eher zurückhalten, nicht ständig am Pranger stehen und in der Öffentlichkeit verkämpfen wollen, und dass dann vor allem Hartgesottene, Dickhäutige und Abgebrühte übrig bleiben oder mehr werden.

Deshalb müssen wir sehr aufpassen, dass wir nicht zu einer falschen Politikerauslese kommen, wenn wir so mit unseren Politikern umgehen.

Das Gespräch führte Gerald Mayer.


Dr. Andreas Püttmann (privat)
Dr. Andreas Püttmann / ( privat )

"Querdenker" auf einer Demonstration / © Martin Helgemeir (shutterstock)
"Querdenker" auf einer Demonstration / © Martin Helgemeir ( shutterstock )

Proteste in den Niederlanden / © Rob Engelaar (dpa)
Proteste in den Niederlanden / © Rob Engelaar ( dpa )
Quelle:
DR
Mehr zum Thema