Einst soll einem Indigenen bei einer Fahrt über den Taquari-Fluss in Südbrasilien eine weiße Gestalt erschienen sein. "Verzaubert" sei die Figur, soll er berichtet haben, "encantado", wie es auf Portugiesisch heißt. An jenem "verzauberten" Ort soll bald schon eine gigantische Christus-Statue stehen. Mit 43 Metern Höhe und 36 Metern Spannweite wird die Figur sogar größer sein als ihr weltberühmtes Vorbild in Rio de Janeiro.
Zehn Jahre altes Gelübde
Hinter der Idee, in der 1915 von italienischen Einwanderern gegründeten Kleinstadt mit gerade einmal 22.000 Einwohnern eine gigantische Erlöserfigur zu bauen, steht ein Gelübde. So sollen Familien aus der Region vor rund zehn Jahren geschworen haben, einen Christus zu errichten, falls Gott einen Erkrankten rettet, sagt der Unternehmer Rafael Fontana, der das Projekt leitet. Zudem habe ein Priester aus der Region anlässlich der Hundertjahrfeier der Stadt den Bau einer Christus-Statue angeregt.
Der damalige Bürgermeister Adroaldo Conzatti nahm die Idee auf. "Er kündigte an, eine Christus-Statue bauen zu wollen, die die Statue in Rio de Janeiro übertrifft", so Fontana. Conzatti startete das Projekt im Jahr 2019 und gründete dafür gemeinsam mit Fontana und weiteren Bürgern die Vereinigung "Amigos de Cristo" (Freunde von Christus). Die Vereinigung übernahm die Projektplanung sowie das Sammeln von Spenden für den Bau. Die Familien, die einst das Gelübde ablegten, stellten das Grundstück auf dem "Morro das Antenas" (Antennen-Hügel) zur Verfügung.
Fünf Meter höher als "Redendor"
Ende 2019 begannen schließlich die Bauarbeiten. Aufgrund der Pandemie mussten diese jedoch zwischen März und September 2020 ruhen. Vor einigen Tagen konnten nun der Kopf sowie die Hände auf das Gerüst aus Beton und Stahl gesetzt werden. Im Dezember dieses Jahres soll das Projekt fertig werden. Die 37 Meter hohe Statue steht auf einem sechs Meter hohen Sockel, misst also 43 Meter. Damit übertrifft sie das Vorbild in Rio, den Cristo Redentor auf dem Corcovado-Berg, das 30 Meter plus den acht Meter hohen Sockel misst, um fünf Meter.
Weltgrößte Christus-Statue?
Fontana ist sich nicht sicher, ob der "Cristo Protetor de Encantando" (Christus, Beschützer von Encantado) nicht sogar die weltgrößte Christus-Statue ist. Denn die Messkriterien sind nicht ganz eindeutig. Bisher galt die Christus-König-Statue im polnischen Swiebodzin mit 36 Metern als die größte, gefolgt vom "Cristo de la Concordia" im bolivianischen Cochabamba, der 34,20 Meter misst, aber auf einem über sechs Meter hohen Sockel steht und damit insgesamt über 40 Meter hoch ist. Mit seinen 43 Metern würde der Christus in Encantado sie alle überragen.
Spenden aus der Region
Dabei sind die Baukosten erstaunlich niedrig. Eigentlich müsse man für eine Statue dieser Größe mit rund sechs Millionen Reais, umgerechnet 880.000 Euro, rechnen, so Fontana. Zumal ein Aufzug in die Figur eingebaut werden soll, der Besucher auf eine Aussichtsplattform im Brustbereich der Figur transportiert. "Insgesamt werden wir auf lediglich etwas über zwei Millionen Reais kommen", so Fontana. Dies entspricht knapp 300.000 Euro. Zusammengekommen sei das Geld allein durch Spenden von Familien und Unternehmen der Region.
Hoffen auf Tourismus
"Die Figur bezeugt unseren Glauben und steht für unsere Dankbarkeit, dass sich die Stadt und die Region so gut entwickelt", erklärt Fontana. Der Bau stehe für einen Moment der Erneuerung ihres Glaubens. "Und die Figur hat uns gelehrt, dass wir gemeinsam große Taten vollbringen können." Obwohl die Figur noch gar nicht fertig ist, gebe es bereits zahlreiche Anmeldungen von Besuchern. Für die Region, die bisher von der Herstellung von Kosmetikartikeln sowie der Landwirtschaft lebt, erhofft man sich in Zukunft eine Belebung der Wirtschaft durch den erwarteten religiösen Tourismus.
Das Vorbild auf dem Corcovado-Berg in Rio zieht jedenfalls jährlich rund zwei Millionen Besucher an. Das lässt die Menschen in Encantado zuversichtlich in die Zukunft blicken. Zur Eröffnung am Jahresende wolle man Papst Franziskus einladen. Selbst wenn dessen Erscheinen eher unwahrscheinlich sei. "Wir werden ihm jedenfalls eine Einladung schicken", so Fontana.