DOMRADIO.DE: Annalena Baerbock schreibt als erste grüne Kanzlerkandidatin Deutschlands sowieso schon Geschichte. Warum ist sie eine gute Wahl?
Konstantin von Notz (Religionspolitischer Sprecher der Grünen): Sie ist eine frische und starke Kandidatin und sehr authentisch in dem, was sie politisch vertritt - gerade im Bereich des Klimaschutzes, das ist für uns ein ganz wichtiges Thema. Und sie ist sehr teamorientiert. Das ist etwas, was wir auch heute an dieser Entscheidung sehen können, die Robert Habeck und Annalena Baerbock gemeinsam getroffen haben, dass sie die Spitzenkandidatin wird. Dafür braucht es Teamgeist und Teamleistung und das bringt sie alles mit.
DOMRADIO.DE: Jetzt ist es aber ja so, dass Umfragen Robert Habeck bessere Chancen auf eine Kanzlerschaft bescheinigt haben. In der Partei selbst ist man auch unentschlossen. Das ist fast 50:50, da gehen die Meinungen ganz schön auseinander. Kann man da überhaupt von einer wirklich geschlossenen Wahl für Baerbock sprechen?
Von Notz: Ja, ich glaube, davon kann man wirklich sprechen. Ich kenne die Partei jetzt auch schon eine ganze Weile und so geschlossen wie im Augenblick hat man sie nie erlebt. Und 50:50 ist ein Zeichen dafür, dass wir einfach zwei sehr starke Kandidierende haben. Wenn Sie die Leute fragen würden "Soll stattdessen Markus Söder oder Armin Laschet das Bundeskanzleramt übernehmen?", würden Sie 100 Prozent bekommen, die für die grüne Kandidatin oder den grünen Kandidaten sind.
Ich glaube wirklich, das Zeichen, das von uns Grünen ausgeht, ist die Ernsthaftigkeit und die Geschlossenheit in dieser Frage in einer sehr ernsten Zeit, in der wir politisch einfach wegen der Pandemie, aber auch wegen vieler anderer Herausforderungen wie der Klimakrise sind. Ich glaube, dass die Grünen da heute ein sehr gutes Angebot machen,
DOMRADIO.DE: Eine Frau, gerade mal 40, ist das klare Gegenmodell zum Angebot von Union und SPD mit ihren gesetzteren Herren - wen auch immer CDU und CSU schließlich nominieren. Wird ihr das in die Hände spielen?
Von Notz: Ich weiß nicht genau, ob solche Dinge einem automatisch in die Hände spielen. Aber ich glaube, es ist eine klare Ansage von einer emanzipierten und starken Frau, wie Annalena Baerbock das ist, als junge Mutter zu sagen "Ich scheue nicht die Verantwortung". Es wäre sicherlich sehr einfach gewesen, diesen Kelch, der eine solche Kandidatur ist, an sich vorüberziehen zu lassen. Sie bringt das Selbstbewusstsein und die Stärke mit, Ja dazu zu sagen. Und ich bewundere das sehr.
Ich kann - gerade im Hinblick auf die Diskussion in der Union - nur sagen: Umfragen bestimmen nicht, wer Bundeskanzler oder Bundeskanzlerin wird, sondern am Ende entscheiden die Wählerinnen und Wähler. Es gilt der Wahltermin am 26. September als Entscheidungsdatum. Bis dahin ist Zeit, sich auszutauschen.
Und wenn ich mir die Zersetzungsdiskussionen angucke, die da in anderen Lagern stattfinden, wird das der Ernsthaftigkeit in dieser Pandemie-Lage überhaupt nicht gerecht. Insofern glaube ich, dass Annalena Baerbock vor allen Dingen große charakterliche Stärken mitbringt, aber eben auch die inhaltliche Tiefe, hier in den nächsten fünf Monaten ein sehr gutes Angebot für die Wählerinnen und Wähler zu machen,
DOMRADIO.DE: Annalena Baerbock ist evangelisch-lutherische Protestantin. Inwieweit, würden Sie sagen, spielt Ihr religiöser Hintergrund eine Rolle für Ihre Politik?
Von Notz: Ich glaube, dass wir natürlich alle, die wir berufsmäßig praktisch Politik machen, unseren Wertekanon gefunden haben müssen, um Entscheidungen auch gut zu verorten und zu begründen. Ich glaube, man konnte in den letzten Jahren sehr gut sehen, dass Annalena Baerbock eine sehr wertebezogene Politik macht, nicht leichtfertig Dinge daher sagt oder Fähnchen in den demoskopischen Wind hängt, sondern wirklich aus Überzeugung für Ziele streitet. Auch gerade vor dem Hintergrund, dass sie kleine Kinder hat.
Wir haben insgesamt als Partei - auch mit dem Prozess, den wir in den letzten Jahren mit dem religionspolitischen Papier hatten, das wir über drei Jahre vorbereitet haben - gezeigt, dass Fragen von Religiosität und Weltanschauungen gerade in einer pluralen Gesellschaft für uns von enormer Bedeutung sind.
Die Menschen, die mit einem religiösen Wertekanon kommen, aber auch die, die einen weltanschaulichen mitbringen, sind bei uns gut aufgehoben, weil wir sehen, was das deutsche Religionsverfassungsrecht uns Gott sei Dank ermöglicht: In der Pluralität und in der Vielfalt liegt die Kraft, in dem Verständnis und dem Miteinander. Das eint Annalena Baerbock sicherlich mit Bündnis 90/Die Grünen insgesamt.
Das Interview führte Verena Tröster.