DOMRADIO.DE: Was zeigt das über alle parteipolitischen Fragen hinweg, dass da eine Mutter zweier Kinder im Grundschulalter antritt, um Kanzlerin zu werden?
Ute Hücker (Katholischer Deutscher Frauenbund): Erst mal finde ich das gut. Und zweitens möchte ich nachschieben, dass diese Frage schon sehr interessant ist. Denn ich glaube nicht, dass die einem 40-jährigen Mann gestellt würde, der sich für das Amt des Kanzlers bereit erklärt hat.
Das zeigt ja schon, dass eine junge, dynamische, kompetente Frau so etwas wie eine kleine Exotin ist in unserem Denken und dass eine Frau auch große politische Ämter wahrnehmen kann, immer noch ein bisschen verschwindend gering betrachtet wird.
DOMRADIO.DE: Und da schließt sich ja gleich die zweite Frage an, die immer kommt bei diesem Thema: Meinen Sie, dass Annalena Baerbock mehr als ihre männlichen Mitbewerber wird leisten müssen, um gleich wertgeschätzt zu werden?
Hücker: Ich denke schon. Und ich finde das auch gleichzeitig sehr bedauerlich, weil es für mich ein Zeichen dafür ist, dass Frauen in unserer Gesellschaft weniger wertgeschätzt werden als Männer, obwohl sie wirklich einen scharfen Verstand haben, bestens qualifiziert sind und auch ausgewiesene Fähigkeiten haben. Das zumindest hat Annalena Baerbock in der bisherigen Zeit deutlich gezeigt und das hat auch unsere Kanzlerin in 16 Jahren deutlich präsentiert.
Ganz ehrlich: Ich finde es wirklich beschämend, dass Frauen aufgrund ihres Geschlechtes gering geschätzt werden. Dass sie weniger wertgeschätzt werden, obwohl sie bestens qualifiziert und ausgebildet sind, obwohl sie viel leisten, obwohl sie Teamplayer sind. Und ich frage mich, woher das kommt. Ob alte Rollenbilder immer noch so verfestigt sind, dass man sich Frauen, gerade junge Frauen, nicht vorstellen kann? Wir brauchen qualifizierte und gute, ausgebildete und fähige Frauen, die bereit sind, miteinander mit Männern und Frauen zu arbeiten. Die brauchen wir in diesem Land. Wie gesagt, ich finde es einfach unwürdig.
DOMRADIO.DE: Gleich nachdem klar war, dass sie es wird, gab es ja auch schon hässliche Kommentare bei Facebook, Twitter und Co. Frauen scheinen da stärker betroffen als Männer. Warum ist das so? Und was wäre Ihrer Meinung nach die beste Strategie, damit umzugehen?
Hücker: Antifeminismus gibt es, seit es Feminismus gibt und das ist in Europa seit mehr als 200 Jahren der Fall. Der Kampf um die Gleichstellung von Frauen ging immer auch mit Gegendiskussionen und Gegenbewegungen daher. Ich finde es sehr nachdenkenswert und auch bedenklich, dass gerade so extrem rechte Bewegungen in den letzten Jahren in Deutschland dazu beigetragen haben, dass der Antifeminismus stärker wird und Frauen in Rollen zurückgedrängt werden, in die sie nicht gehören. Indem Rollen zugeschrieben werden, aufoktroyiert werden.
Das passt nicht zu einer Gesellschaft, die für sich reklamiert, modern und fortschrittlich zu sein. Das gehört einfach nicht zusammen. Was in den sozialen Medien passiert, finde ich verabscheuungswürdig. Ich finde das unter aller Kanone. Das ist gegen die Würde der Menschen, auch gegen Frauenwürde. Vielfach sind es auch Männer, die solche Kommentare loslassen. Ich frage mich allen Ernstes, welches Verständnis von Frauen sie eigentlich haben und ob sie sich auch mal darüber Gedanken machen, wie verletzend sie in ihren Äußerungen eigentlich sind. Ich stehe manchmal fassungslos da und denke: Wozu hat man ein Hirn?
DOMRADIO.DE: Aber die Realität zeigt ja auch: Sie bewegt sich doch. Und damit ist die Gesellschaft gemeint. Immerhin werden wir ja seit bald 16 Jahren von einer Frau regiert. Bringt denn diese gesellschaftliche Entwicklung in Ihren Augen auch die katholische Kirche stärker unter Druck, in Sachen Geschlechtergerechtigkeit voranzukommen?
Hücker: Die Kirche ist ja nun mal Teil der Gesellschaft und deswegen bewegt sich die Kirche auch mit. Das ist zwar manchmal nicht immer offensichtlich und auch nur wenn man genau hinguckt, stellt man Bewegungen fest. Aber Kirche bewegt sich mit. Unter Druck bewegt sich nichts. Unter Druck kann sich nichts entwickeln und und kann nichts gedeihen. Das bedeutet also auch, dass die Bewegung in unserer Kirche, die da ist, momentan ja auch vielfach von Frauen hervorgerufen wird.
Und, dass Frauen etwas in Bewegung bringen und dass Frauen das auch zusammen mit Männern machen. Das ist für mich ein Zeichen - und ich weiß nicht, ob das mit der 16-jährigen Kanzlerschaft von Frau Merkel zu tun hat. Aber es ist offensichtlich: Unsere Kirche und unsere Gesellschaft können sich nur weiterentwickeln, indem sie sich bewegen und zwar gemeinsam bewegen. Ansonsten geht irgendwann das Licht aus.
Und dann ist es sowohl mit unserer Demokratie als auch mit dem Fortbestand der katholischen Kirche ein bisschen düsterer. Gerade da erwarte ich eigentlich, dass sich die Bewegung innerhalb der Kirche zu Veränderung und zu mehr Geschlechtergerechtigkeit und zu Gleichberechtigung, dass sich da was entwickelt. Frauen und Männer sind auch gut im Team und nicht nur alleine.
Das Interview führte Heike Sicconi.